Und hier geht’s weiter mit Buchentdeckungen in 2015:
Zuerst mal die Kategorie der 3Bs : Bewegendes, Berührendes und Belastendes
Das sind Bücher, die ich wirklich außergewöhnlich fand, die aber nichts sind, wenn man grad einfach nur gute Unterhaltung sucht, sondern eher so Bücher, die einem schon Einiges abverlangen oder sich mit wirklich schwierigen Themen beschäftigen. Ob ich diese Bücher empfehle, hängt also davon ab, ob man so was gerne liest, von dem her diese „Warnung“ vorab.
- Rebecca Wait: Kopfüber zurück: Kopfüber zurück ist der Debutroman einer noch sehr jungen britischen Autorin und es handelt sich dabei um ein wirklich beeindruckendes Debut. In einer sehr nüchternen klaren Sprachen wird die Geschichte einer Familie erzählt, die offenbar große Probleme hat, die nach dem Tod eines der jugendlichen Kinder der Familie zerbrochen ist. In dem Buch geht es um schwierige Themen, welche genau möchte ich nicht verraten, um nicht zu viel von der Handlung zu verraten (der Klappentext des Buches ist in der Hinsicht übrigens mal wieder ziemlich irreführend. Ich finde es absolut unverständlich, wieviele Bücher einen Klappentext haben, der gar nicht wirklich zur Handlung passt, das nur nebenbei angemerkt). Das Buch ist sicher keine leichte Kost und auch kein besonders hoffnungsvolles Buch. Gerade das macht die Geschichte aber so authentisch und bewegend.
- Jon Bauer: Steine im Bauch: „Steine im Bauch“ wird aus Sicht eines Ich-Erzählers erzählt, dessen richtigen Namen wir nie so wirklich erfahren. Er kehrt nach Jahren im Ausland im Alter von Mitte/Ende 20 zu seiner Mutter nach Hause zurück, die schwer an einem Gehirntumor erkrankt dem Tode nahe ist. Die Geschichte erzählt immer abwechselnd eine Szene aus der jetzigen Zeit und eine Rückblende in die Kindheit des Jungen, als er etwa 7 Jahre alt war.
Es wird schnell klar, dass der Erzähler seiner Mutter immer noch voller Wut gegenüber steht und dass er seine Kindheit nie wirklich überwunden hat. Die Familie hat früher immer wieder Pflegekinder aufgenommen, etwas das den 7-jährigen Jungen überfordert hat und bei ihm ständig zu dem Gefühl führte, von seinen Eltern benachteiligt und vernachlässigt worden zu sein. Wie viel davon reine Eifersucht war und wie viel tatsächliche Benachteiligung erfährt man dabei nie wirklich, da alle Geschehnisse aus Sicht des Jungen erzählt werden.
Das Buch ist sprachlich wirklich hervorragend, die Szenen, die aus Sicht des 7-jährigen Jungen geschrieben sind, wirken nie wie wenn ein Erwachsener versucht als Kind zu schreiben, sondern man kann sich wirklich bei jedem Satz vorstellen, dass ein 7-jähriger genauso fühlt. Das Buch ist wirklich unglaublich berührend, denn die Gefühle des Jungen und seines erwachsenen Pendants sind so eindrücklich und verzweifelt, dass man ständig zwischen tiefem Mitleid für den Jungen/Mann und gelegentlichem Abscheu für sein Verhalten hin- und hergerissen wird. Einige Passagen fand ich schwer auszuhalten, da sie wirklich sehr grausam und verstörend auf mich wirkten, so dass ich mich knapp vor der Mitte sogar einmal kurz zwingen musste, weiterlesen. Das lohnt sich aber, denn die Geschichte ist insgesamt wirklich großartig. Ich kann mich selten erinnern, die tiefe Verzweiflung einer Romanfigur derart nachvollziehen zu können und der Ich-Erzähler ist eine wahrlich faszinierende zerrissene Figur, jemand der gegen die Dämonen in sich selbst ankämpft und selbst dann immer wieder das Falsche tut und andere und sich selbst verletzt, wenn er versucht das Richtige zu tun. Gegen Ende hat mich das Buch sogar kurz fast zum Weinen gebracht, was mir so gut wie nie passiert.
Ob ich für dieses Buch eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen würde, weiß ich gar nicht, es ist sicher keine leichte Kost, aber gleichzeitig eines der besten Bücher, das ich seit langem gelesen habe.
Belletristik – Außergewöhnliches
In dieser Kategorie möchte ich Romane vorstellen, die für mich aus der Masse herausgestochen sind, entweder durch eine außergewöhnliche Thematik, durch außergewöhnliche Charaktere oder durch einen besonderen Schreibstil.
- Ulrike Renker: Brehm 46: Brehm 46 ist eine Adresse in Düsseldorf, ein Mietshaus an einer vielbefahrenen Straße (das es durchaus tatsächlich gibt, ich hab dann mal auf Google Maps geschaut). Brehm 46 ist auch der Schauplatz dieses Romans, bei dem es sich nicht um eine lineare Erzählung handelt, sondern jedes Kapitel erzählt eine Episode aus dem Leben eines der Hausbewohners, wobei die Geschichten quasi im obersten Stock beginnen und sich Etage für Etage noch unten vorarbeiten. Die Schicksale der Personen sind dabei nur lose verknüpft, man trifft sich im Treppenhaus, streitet mit den Nachbarn oder kennt sich zufällig schon von woanders her. Die Geschichten sind dabei alle intensiv, humorvoll, dramatisch, traurig, ironisch, nicht einfach und oftmals sogar all das auf einmal, die Sprache ist wirklich toll und das Buch liest sich in Windeseile dahin, obwohl es keineswegs einfach ist. Dabei sind alle Geschichten von gleichbleibender Qualität (nur eine Episode fand ich ein kleines bisschen schwächer im Vergleich zu den anderen) und die große Stärke der Geschichten liegt in der Authentizität. Insgesamt ein wirklich überraschend gutes Buch, das mir nur anhand des Covers vermutlich in einer Buchhandlung nicht unbedingt ins Auge gestochen wäre.
- Helwig Arenz: Der böse Nik: Dieses Buch habe ich gelesen, weil mir weder das Cover, noch der Titel, noch der Klappentext eine Vorstellung davon verschafft hat, was für ein Buch das eigentlich ist. Mit dieser Buchauswahlmethode habe ich dieses Jahr übrigens schon mehrfach sehr gute Erfahrungen gemacht. Kurz zum Inhalt: Der Held oder vielleicht auch Anti-Held der Geschichte ist Nik, dessen Alter und Hintergrundgeschichte wir nie so wirklich erfahren. Nik wohnt jedenfalls in einer Art privaten sozialen Wohnprojekt, das geleitet wird von Gabriel. Gabriel hält wohl nicht viel von offiziellen Anlaufstellen für Leute mit Problemen oder von Recht und Gesetz, sondern nimmt lieber auf eigene Faust Jugendliche und Erwachsene mit Problemen (z.B. kriminelle Vergangenheit oder Drogenprobleme) auf. Seine Motive und Intentionen dafür sind eher nebulös. Nik wohnt nun bei Gabriel, zusammen mit Lauri, die er begehrt, die aber mit Gabriel zusammen ist und diversen anderen eher suspekten Mitbewohnern. Eine Kombination, die nichts Gutes verheißt…Mir hat das Buch sehr gut gefallen, es ist sprachlich sehr gut (wobei ich mich manchmal gefragt habe, ob jemand in Niks Situation wirklich so poetisch wäre, wie er es manchmal ist), die Story ist sehr interessant, die Charaktere sowieso und oft blitzt ein gemeiner aber wirklich feiner Humor durch.
- Lorenza Gentile: Teo: „Teo“ ist nicht nur der Titel des Debütromans von Lorenza Gentile, sondern auch der Name des Protagonisten, aus dessen Sicht das ganze Buch erzählt wird. Teo ist ein ganz normaler 8-jähriger italienischer Junge, der in die Grundschule geht und mit seiner großen Schwester und seinen Eltern zusammen lebt. Doch Teo versucht am Anfang des Buches via Google herauszufinden, wie man sich am Besten selbst tötet (leider findet er keine der gefunden Optionen für sich in der Praxis umsetzbar). Der Grund: Teo möchte mit Napoleon reden, doch der ist schon tot. Teo leidet darunter, dass seine Eltern immer nur streiten, er möchte die Ehe seiner Eltern kitten, weiß aber nicht wie. Zu seinem Geburtstag hat er einen Comic über Napoleon geschenkt bekommen und der hat alle seine Schlachten gewonnen (so zumindest Teo’s Eindruck), deswegen muss er ihm doch sagen können, wie er selbst diese Schlacht um den Erhalt seiner Familie gewinnen kann. Deshalb versucht Teo herauszufinden, wie er Napoleon treffen kann, obwohl dieser schon lange tot ist. Auf dieser Prämisse ist der ganze Roman aufgebaut.Man kann wenn man denn kritisch sein will, dem Roman nun vorwerfen, dass er etwas zu gewollt daher kommt, dass die philosophischen Fragestellungen, die Teo zu klären versucht, etwas zu sehr ein Kunstgriff sind und auch das Ende hätte man vermutlich noch etwas besser machen können (da wendet sich doch alles etwas plötzlich von einer Richtung in die andere) . Aber selbst mit diesen kleinen Schwächen ist der Roman einfach unheimlich frisch und liebevoll geschrieben, Teo ein unheimlich liebenswertes Charakter, die kindliche Logik glaubhaft rüber gebracht und das Buch hat für mich so einen Sog erzeugt, dass ich es innerhalb eines Tages ausgelesen habe. Für mich sind damit alle Voraussetzungen für ein perfektes Lesevergnügen erfüllt, deswegen kann ich über die kleinen Schwächen problemlos hinweg sehen. Als Debüt von einer jungen Autorin ist das für mich ein wirkliches Ausnahmewerk.