Bücher

Buch-Tipp: „Eine Frau bei 1000 – Aus den Memoiren der Herbjörg María Björnsson“ von Hallgrimur Helgason

Eine Frau bei 1000°“ von Hallgrimur Helgason habe ich mir als Lektüre ausgesucht, da mir schon das Buch „60 Kilo Sonnenschein“ vom gleichen Autor gut gefallen hat. Die außergewöhnliche Hauptfigur von „Eine Frau bei 1000°“ ist die 80-jährige Herbjörg Maria Björnsson, die an multiplem Krebs im Endstadium leidet und ihre letzten Lebensmonate als Untermieterin in einer Garage in Reykjavik verbringt, als Gesellschaft ihre Krankenpflegerin, eine Handgranate aus dem 2. Weltkrieg und ihr Laptop, das Tor zum Internet und somit zur ganzen Welt. Für ihr Ableben hat Herbjörg, genannt Herra, schon vorgesorgt, sie möchte verbrannt werden – bei 1000° geschieht das, hiervon rührt der Buchtitel – und hat sich direkt schon angemeldet für den 14. Dezember, länger möchte sie sowieso nicht mehr durchhalten…

Während Herra im Hier und Jetzt mit ihrer Familie hadert, das moderne Island mit zynischem und unerbittlichen Blick beschreibt und sich damit die Zeit vertreibt sich gegenüber allen möglichen jungen Männern auf der ganzen Welt bei Facebook als junge ehemalige Schönheitskönigin auszugeben und sie zu veräppeln, erzählt sie weiterhin in episodenhaften Rückblicken ihre Lebensgeschichte. Beginnend vom frühen Aufwachsen an der rauen Küste mit ihrer Mutter, die aus einfachen Verhältnissen stammt (der Vater der aus sehr privilegierten Verhältnissen stammt hat die junge Familie erstmal im Stich gelassen). Ihr Leben ändert sich massiv, als der Vater doch wieder auftaucht, doch nur kurzfristig zum Besseren. Denn Herras Vater zieht mit der Familie nach Deutschland und verfällt aufgrund einer irregeleiteten Heldenverehrerung Adolf Hitler, für den er als angeblich einziger Isländer in blinder Verehrung in den Krieg ziehen möchte. Herra wird in den Kriegswirren irgendwann von beiden Eltern getrennt und muss sich ganz alleine durchschlagen.

Das Buch wird in wechselnden Episoden in unterschiedlichen Zeitebenen erzählt und ist immer wild, extravagant, provokant, humorvoll, zynisch, aber durchaus auch bewegend und berührend und traurig. Der Zynismus wurde in einer Rezensionen die ich gelesen habe (das Buch erschien offenbar 2011 bereits einmal) kritisiert und als zu schwer erträglich kritisiert, eine Kritik die ich aber gar nicht nachvollziehen kann, denn gerade die Episoden die aus Sicht des Kindes Herras im 2. Weltkrieg erzählt werden sind keinesfalls zynisch oder gefühllos, sondern sehr direkt und damit auch zu Herzen gehend.

So entwirrt sich nach und nach Herras Lebensgeschichte und man bekommt immer mehr ein Gefühl für die zunächst so wehrhaft und unnahbar wirkende Frau.

Mir hat das Buch hervorragend gefallen, auch wenn es nicht immer leichte Kost ist. Es ist aber auch nicht immer schwere Kost, was es so besonders macht.

Für mich ist Hallgrimur Helgason ein Autor bei dem ich immer zugreifen werde.

Bücher, Hörbuch

Hörbuch-Tipp: „Ungeschminkt: Mein schrilles Doppelleben“ von Olivia Jones

Heute möchte ich ein weiteres Hörbuch vorstellen und zwar die Autobiografie „Ungeschminkt: Mein schrilles Doppelleben“ von Drag Queen und Kiez Ikone Olivia Jones.

In dem Buch schildert Olivia bzw. im sonstigen Alltag Oliver ihren/seinen Werdegang vom Aufwachsen in einer spießigen Kleinstadt bis zum Leben als einer der bekanntesten Travestie-Künstlerinnen Deutschlands. Die ca. 20 minütigen Kapitel sind dabei sehr abwechslungsreich und decken eine Vielzahl an Themen ab: das Aufwachsen in einer einer eheren biederen Kleinstadt mit einem früh gewachsenen Faible für Make up und schrille Outfits. Das Coming-Out in der Familie, Konflikte innerhalb der Familie (die sich zwar nicht daran stören, dass Oliver schwul ist, aber durchaus sehr an dem Berufswunsch Drag Queen). Die ersten Schritte als Travestie-Künstler und der tägliche Kampf darum überhaupt genug Geld fürs Überleben zu verdienen, berufliche Weggefährten und Freunde, Karriere-Höhepunkt, politisches Engagement, der Kampf gegen Homophobie, die Beinverkürzungs-OP des über 2-Meter großen Olivers, aber auch praktische Infos über die Arbeit als Drag Queen (wieviele Perücken besitzt Olivia, wie lange dauert das Make-up täglich). Anekdoten über Promi-Freunde wie Udo Lindenberg oder dem verstorbenen Daniel Küblböck, Fernsehsendungen wie das Dschungelcamp und darüber wie Corona das berufliche Leben auf dem Kiez fast zum Erliegen brachte.

Ein Buch und ein Leben das also für fast jeden etwas Spannendes bieten sollte. Dabei findet Olivia/Oliver eine sehr gute Balance zwischen sehr ernsthaften Themen und persönlichen Erfahrungen (wer traut sich schon den Besuch eines NPD-Parteitages zu und das noch dazu als Drag Queen) und lockeren Infos über den beruflichen Werdegangs Olivias, alles in einem lockeren Plauderton, der das sehr informative Buch trotzdem total kurzweilig wirken lässt.

Gelesen wird das Buch für mich zunächst etwas ungewöhnlich nicht von einem Sprecher, sondern immer abwechselnden von verschiedenen Angehörigen der „Olivia Jones Familie“. Einige wenige Kapitel liest Olivia selbst, ansonsten teilen sich ihre Kolleginnen Barbie Stupid, Veuve Noire, Fanny Funtastic und Magnif.ck (ich hoffe da fehlt niemand) die Kapitel untereinander auf. Den Übergang fand ich dabei im ersten Moment immer minimal gewöhnungsbedürftig, denn das Buch ist natürlich in der „Ich-Perspektive“ geschrieben und wenn dann die Stimme wechselt war das für mich immer kurz ein Bruch, man gewöhnt sich aber schnell daran.

Sehr gute Werbung für Olivia Jones ist das Buch sicherlich auch, nach dem Anhören habe ich sehr große Lust bekommen bei meinem nächsten Städtetrip nach Hamburg eine der Kult-Kiez-Touren der Olivia-Jones-Familie zu buchen.

Für mich eine sehr unterhaltsame und informative Autobiografie.