„Die geheimste Erinnerung der Menschen“ von Mohamed Mbougar Sarr hat aus mehreren Gründen mein Interesse geweckt. Erstens ist das Cover sehr auffällig und gelungen, zweitens klang der Klappentext interessant und drittens habe ich bisher nur wenige Romane von afrikanisch-stämmigen Autoren gelesen.
Der Ich-Erzähler Diégane ist ein junger Student aus dem Senegal, der in Paris lebt und seinen ersten Roman veröffentlicht hat. Dieser fand zwar ein bisschen Interesse bei Kritikern und in der Literaturszene, aber letztendlich doch nur 79 Käufer. Während Diégane also selbst noch auf der Suche nach seiner eigenen literarischen Stimme ist, wird er auf ein verschollenes Buch aufmerksam, „Das Labyrinth des Unmenschlichen“ von T.C. Elimane, einem verschollenen Kultautor aus dem Senegal, der 1938 dieses eine Buch veröffentlichte. Kurzzeitig wurde er als junges Talent von Manchen gefeiert, von Manchen kritisiert, dann aber aufgrund von Plagiatsvorwürfen und rassistischen Kritiken medial vernichtet bis er untertauchte. Er veröffentlichte niemals mehr etwas und niemand wusste wer überhaupt hinter dem Namen T.C. Elimane steckte und was aus ihm geworden ist. Diégane versucht mehr über den mysteriösen Autor und sein Werk herauszufinden…
Ich war erst etwas skeptisch, ob mir das Buch zu sehr auf einer Metaebene über Literatur handeln würde und ob die Suche nach dem mysteriösen Autor nicht zu viele Fragen offen lassen würden. Allerdings ist das Buch in der Hinsicht doch anders als erwartet, T.C. Elimanes Leben wird doch recht konkret aufgedeckt, durch Erinnerungen von diversen Weggefährten. Dabei ist das Buch aber absolut nicht linear, es springt labyrinthisch zwischen verschiedenen Erzählern, Perspektiven und Zeiten hinterher und behandelt nicht nur T.C. Elimanes eigene Geschichte, sondern auch noch die seiner Eltern und von diversen Menschen, die mit ihm in Kontakt waren und natürlich auch noch das Leben von Diégane. Klingt auf den ersten Blick wirr und überfrachtet, ist es aber nicht. Bis auf einige wenige Male, wo ich einen Moment brauchte mich auf einen neuen Erzähler einzustellen, funktionierte das Buch für mich hervorragend, es ist intensiv, leidenschaftlich, gesellschaftskritisch, kreativ, interessant und mitreissend. Es geht um Rassismus, die Auswirkungen des Kolonialismus auf die Menschen in den kolonialisierten Ländern, um Familie, Herkunft, Kultur und Verzeihen. Für mich ein besonderes Leseereignis.
Monat: Januar 2023
Krimi-Tipp: „Verschwiegen“ von Eva Björg Ægisdóttir
Ich bin ein großer Fan von Island-Krimis, zum Beispiel von Yrsa Sigurðardóttir und Arnaldur Indriðason.
Mit Eva Björg Ægisdóttir und ihrem ersten Krimi „Verschwiegen“ rund um die Polizistin Elma taucht ein neues Gesicht in der isländischen Krimilandschaft auf. Ich war sehr gespannt auf den Roman und wurde absolut nicht enttäuscht.
Elma kehrt nach einigen Jahren in Reykjavik nach einem Einschnitt in ihrem Privatleben zurück in ihre Heimatstadt Akranes. Dort soll es eigentlich viel ruhiger zugehen als in Reykjavik, doch schon kurz nach ihrer Rückkehr gibt es eine Leiche. Am alten Leuchtturm der Stadt (den gibt es wirklich als Touristenattraktion) wird eine Frau halb im Meer liegend gefunden und es ist schnell klar, dass ihr Tod kein Unfall war. Relativ schnell findet die Polizei heraus, dass es sich bei der Toten um Elisabet handelt, eine Pilotin, die ihrem Mann gesagt hatte, dass sie zu einer Flugreise aufbricht, sich aber bei der Arbeit krank gemeldet hatte, ohne ihm Bescheid zu sagen. Elma und ihre Kollegen versuchen herauszufinden, was in den Tagen dazwischen passiert ist. Schnell wird klar, dass Elisabet auch in Arkanes aufgewachsen ist, den Ort aber die letzten Jahre konsequent gemieden hat. Hat ihre Vergangenheit etwas mit ihrer Ermordung zu tun?
Der Roman ist ein klassischer Ermittlungskrimi, der in eher ruhigem Erzähltempo erzählt wird, aber nicht ganz so melancholisch daherkommt wie z.B. die Krimis von Arnaldur Indriðason. Dabei gibt es viele verschiedene Erzählperspektiven und verschiedene Zeitebenen. Die Leser:Innen erfahren so nach und nach mehr über Elisabets Kindheit, wie andere Bewohner von Arkanes in die Geschehnisse verflechtet sind und was für Ereignisse der Vergangenheit zu Elisabets brutalem Tod geführt haben. Dabei kommt das Kleinstadtleben auf Island so richtig zum Tragen, fast jeder kennt jeden und auch die Polizisten kennen so einige der in die Geschehnisse verwickelten Personen persönlich, was den Job natürlich nicht einfacher macht.
Der Kriminalfall ist sehr atmosphärisch und das Buch ist für mich ein eher psychologischer Krimi, was mir immer besonders gut gefällt. Nicht Brutalität oder die Tat stehen im Mittelpunkt, sondern die Beziehungen zwischen Menschen und Familien. Auch Elisabet ist als Charakter vielschichtiger als man am Anfang des Buches durch die Rückblicke erwarten würde.
Bleiben noch die Ermittler: Elma hat mir als Hauptcharakter ausnehmend gut gefallen. Ihr Privatleben ist etwas chaotisch und wird thematisiert, aber nicht so sehr, dass der Fall ins Hintertreffen gerät. Ihr junger Kollege Saevar bleibt noch etwas blass, ich kann mir aber vorstellen, dass die Charaktere und Beziehungen der Polizist:innen in weiteren Bänden der Reihe noch mehr entwickelt werden können.
Insgesamt war ich richtig begeistert von dieser neuen Reihe, die aus dem Krimi-Einheitsbrei positiv heraussticht und sich nicht hinter den anderen isländischen Reihen verstecken muss. Sie ist auch gut geeignet für Leser:innen denen Arnaldur Indriðason vom Stil doch etwas zu düster und ruhig ist.