Bücher, Hörbuch

Hörbuch-Tipp: „Ein notwendiger Tod“ von Anne Holt

„Ein notwendiger Tod“ ist der zweite Teil von Anne Holts neuer Krimireihe rund um die Detektivin Selma Falck. Da ich den ersten Teil schon als Hörbuch gehört habe, habe ich auch beim 2. Teil diese Form gewählt. Diesmal beginnt das Buch mit einem Schock für Selma Falck. Sie wacht orientierungslos und verwirrt in einer brennenden Hütte auf, aus der sie sich nur mit allerletzter Kraft befreien kann. Wie sie dorthin gekommen ist und wo sie ist, weiß sie nicht und auch als Leser:in erfährt man das erstmal nicht.
Denn schon springt das Buch einige Monate zurück, in einen Sommer wo noch alles soweit ok schien:
Nach ihrem Spielsucht-bedingten gesellschaftlichen und familiären Absturz hat sich Selma Falck inzwischen wieder einigermaßen berappelt, auch wenn das Verhältnis zu ihren Kindern und vor allem zu ihrer Tochter schwierig bleibt.
Letztere heiratet ihren Verlobten, einen rechtspopulistischen Meinungsbilder. Selma ist zur Hochzeit zwar eingeladen, doch an den Katzentisch verbannt. Von dort muss sie mit ansehen wie der frischvermählte Gatte ihrer Tochter bei einer Rede für die Gäste tot zusammenbricht. Gestorben an seiner Macadamia-Nuss-Allergie und das obwohl diese allen bekannt war und weit und breit keine Nüsse in Sicht waren.
Der Besitzer des Sterne-Restaurants, der die Hochzeit ausrichtete, beauftragt Selma damit, herauszufinden wie es zu dem Todesfall kommen konnte, um einen Imageschaden für sein Geschäft abzuwenden. Wirkt es erst so, als gäbe es gar keinen Fall, kommt Selma mit der Zeit unglaublichen Vorgängen auf die Spur…

Wie auch im ersten Fall zeichnet sich der Krimi vor allem dadurch aus, dass brandaktuelle gesellschaftspolitische Themen sehr anschaulich und spannend aufgegriffen werden, in diesem Fall die Verrohung des politischen Diskurses durch Fake News und Desinformation in den Sozialen Medien und die Radikalisierung der extremen rechten und linken politischen Ränder und die Frage wie eine demokratische Gesellschaftsordnung damit umgehen kann. Alles Themen die nicht nur in Norwegen eine Herausforderung darstellen. Der Kriminalfall birgt hierbei einige Überraschungen und das Buch hat mich wieder sehr gut unterhalten, auch Katja Bürkles ruhige, aber trotzdem nicht langweilige Vortragsweise passt sehr gut zu dieser typisch nordischen Krimireihe.

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Buch-Tipp: „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher

„Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher ist das zweite Buch, das ich dieses Jahr aus den Nominierungen für den Deutschen Buchpreis ausgewählt habe. Das Buch ist ein autobiografisch geprägter Roman über die Mutter der Autorin bzw. über die toxische Beziehung zwischen ihren Eltern. Der Roman spielt Anfang und Mitte der 80er Jahre, als die junge Ela ca. 5 – 8 Jahre alt ist. Die Familie ist auf Wunsch des Vaters zurück in sein Heimatdorf gezogen und die Familie wohnt zusammen mit seinen Eltern in einem Haus. Der Vater arbeitet „quasi“ als Ingenieur in einer Firma (er stammt aus einer Bauernfamilie und hat sich aus einer Ausbildung als technischer Zeichner hochgearbeitet), fühlt sich aber dort nicht ausreichend wertgeschätzt und die erhoffte Beförderung bekommt am Ende doch immer der Junior des Chefs. Frustriert über seine mangelnden Erfolge entwickelt der Vater die fixe Idee das Übergewicht seiner Frau sei hauptschuldig an all seinen fehlenden Erfolgen, nicht vorzeigbar sei Elas Mutter, nicht mal bei wichtigen Weihnachtsfeiern der Firma. Der Alltag der Eltern ist geprägt von Sticheleien, Vorwürfen und Vorhaltungen und auch Ela kann sich über die Jahre dem Blick des Vaters auf die Mutter nicht ganz entziehen.
Gleichzeitig ist Elas Mutter eine Kämpferin, die sich nicht unterkriegen lassen will und einerseits versucht ihr eigenes Leben zu leben, eine eigene Karriere zu haben und den Einschränkungen und Zwängen des konservativen und spießigen Dorflebens der 80er Jahre zu entkommen, aber andererseits versucht alle familiären Anforderungen die ihre Kinder, ihr Mann und ihre pflegebedürftigen Eltern an sie stellen zu erfüllen. Eine unlösbare Aufgabe.

Das Buch hat mich von Anfang an gefesselt. Die Familie wird komplett aus der Sicht der jungen Ela geschildert, ihr kindlicher Blick auf die Geschehnisse ist immer authentisch und wirkt nicht irgendwie aufgesetzt oder als hätte ein Erwachsener versucht wie ein Kind zu denken. Das Buch ist tragisch und traurig, aber trotzdem immer warm und teils sogar humorvoll und alle Charaktere sind irgendwie fair und verzeihend gezeichnet, so dass das Buch trotz aller Tragik immer eine wundervolle Leichtigkeit aufweist.

Das Buch ist also einerseits eine wirklich authentische Kindheitsgeschichte, gleichzeitig ein schonungsloser Blick auf die Hürden und Zwänge mit denen Frauen in den 80er Jahren zu kämpfen hatten, Themen wie Body Shaming, Diätkultur und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind auch heute noch aktuell wie eh und je und man kann sich anhand des Buches die Frage stellen, wie viel sich bis 2022 wirklich verändert hat.

Definitiv eines der Lese-Highlights von 2022 für mich!

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Buch-Tipp: „Ich bin nicht da“ von Lize Spit

„Ich bin nicht da“ von Lize Spit wollte ich auf jeden Fall lesen, da mich schon ihr Erstlingswerk „Und es schmilzt“ begeistert hatte. Die Bücher von Lize Spit sind thematisch nie einfach, aber dafür um so intensiver. In „Ich bin nicht da“ steht das Pärchen Leo und Simon im Mittelpunkt. Leo hat als Teenagerin unter traumatischen Bedingungen ihre Mutter verloren und diesen Verlust nie richtig verarbeitet. Außerdem ist sie vom Land nach Brüssel gezogen und fühlt sich dort oft noch verloren und fehl am Platz. Als sie beim Studium Simon kennenlernt, fühlt sie sich mit ihm sofort verbunden, denn auch er verliert gerade seine Mutter an eine schlimme Krankheit. Die beiden werden ein Paar und für Jahre läuft alles gut, die beiden sind sich selbst genug, Simon arbeitet für eine Medienagentur, Leo würde gerne schreiben, arbeitet aber hauptberuflich in einem Geschäft für Schwangerschaftsmode. Im Großen und Ganzen scheinen beide halbwegs zufrieden und solide, doch von einer Nacht auf die Andere wird alles anders. Simon kommt nachts nicht nach Hause, meldet sich von unterwegs nicht und als er doch wieder auftaucht, hat er sich spontan tätowieren lassen und wirkt aufgekratzt und fast manisch. Er kündigt von jetzt auf nachher seinen Job und träumt davon sich mit einer kreativen Idee selbständig zu machen. Leo ist zunächst nur irritiert und verwirrt, doch bald hat sie den Eindruck, dass es den alten Simon gar nicht mehr gibt, sie traut ihm nicht mehr, hat fast Angst um ihn und auch ihr eigenes Leben leidet immer mehr unter seinem Verhalten. Doch ihre Versuche ihn dazu zu bringen sich Hilfe zu holen, scheitern zunächst und die Situation wird immer schwieriger.

Das Buch ist komplett aus der Sicht von Leo geschrieben und sehr intensiv. Es spielt auf zwei Zeitebenen, einerseits wird ein aktueller Tag in der Gegenwart beschrieben, der Tag an dem alles eskaliert. Dazwischen wird in chronologischen Kapiteln die Zeit von Simons plötzlicher Veränderung bis hin zu dem schicksalshaften Tag beschrieben und dazwischen eingeschoben sind noch Kapitel über Leos und Simons Leben in den letzten 10 Jahren zusammen. Trotz der vielen Zeitsprünge ist das Buch nie verwirrend, sondern alles fügt sich perfekt zusammen, so dass sich das ganze Buch liest wie ein Sog, dem man sich gar nicht mehr entziehen kann.

Das Buch ist auch unheimlich stark in der Schilderung von Simons Psychose und Leos Gefühlen dabei, wie sie von Simons Krankheit ebenfalls fast absorbiert wird und hilflos versucht die Situation unter Kontrolle zu haben, sie manchmal aber vielleicht sogar schlimmer macht. Das Buch wirft für mich auch spannende Fragen auf: trägt Leo eine Mitschuld, da sie teilweise nicht ganz ehrlich über das Ausmaß von Simons Krankheit ist? Was für einen Einfluss hatte ihre Neigung skeptisch auf Simons berufliche Ideen und Ambitionen zu reagieren auf seine Krankheit? Oder hätte sowieso keiner etwas besser machen können. 

Mir hat das Buch noch besser gefallen als das Erstlingswerk, da es intensiver und kraftvoller ist und einfach unheimlich überzeugend in der Schilderung einer psychischen Krankheit und der Auswirkung auf die nächste Angehörige und Partnerin. Allerdings ist das Buch auch wirklich nichts für schwache Nerven, eventuell wäre eine Triggerwarnung für bestimmte psychische Krankheiten keine schlechte Idee. Ich bin normalerweise bei Büchern nicht empfindlich, trotzdem musste ich sogar einmal als ich abends im Bett las, nach dem Buch erstmal nochmal etwas völlig anderes lesen, da ich sonst vermutlich nicht hätte einschlafen können oder Albträume bekommen hätte, so aufgewühlt war ich über einige Passagen.

Davon abgesehen, eine absolute Leseempfehlung von mir für alle die sich das Thema zutrauen.