Bücher

Krimi-Tipp: „Verlogen“ von Eva Björg Ægisdóttir

„Verlogen“ ist der 2. Band der Krimi-Reihe von Eva Björg Ægisdóttir rund um die Polizistin Elma. Da mir schon der erste Band ausnehmend gut gefallen hat, freute ich mich sehr auf dieses Buch und wurde auch diesmal nicht enttäuscht. 

Elma ist nach dem Tod ihres Verlobten zurück in ihre Heimatstadt Akranes gezogen und ermittelt dort in der kleinen Polizeistation zusammen mit ihrem Kollegen Sævar und dem Chef Hörður. Wie in jedem Island-Krimi ist die Anzahl der Mordfälle für so ein kleines Land bzw. so eine kleine Stadt nicht besonders realistisch, was aber natürlich dem Lesevergnügen keinen Abbruch tut (und auch für die meisten Regionalkrimi-Reihen genauso zutreffen dürfte). In diesem Band wird eine Leiche in einer Höhle in einem Lavafeld gefunden, dabei handelt es sich um Marianna, eine alleinerziehende Mutter, die vor einigen Monaten verschwunden ist und bei deren Tod ein Selbstmord vermutet wurde. Nun aber ist klar, dass Marianna brutal erschlagen wurde und Elma und ihr Team müssen herausfinden wer dahinter steckt. Marianna war schon öfters im Visier des Jugendamts und ihre 15-jährige Tochter Hekla lebt schon seit Jahren zeitweise bei einer Pflegefamilie. Hat Mariannas Tod mit dieser komplizierten Familiendynamik zu tun oder war es vielleicht eine Beziehungstat? 

Elma und Sævar befragen Mariannas Umfeld und versuchen Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei handelt es sich bei dem Buch um einen psychologischen Ermittlungskrimi, der wie die meisten Krimireihen durch etwas Privatkram der Ermittler aufgelockert wird, was aber in dieser Reihe nie überhand nimmt und sehr schön in die Geschichte integriert ist. Thriller-artige Action und Hochspannung a la Sebastian Fitzek darf man in dieser Reihe nicht erwarten, aber wer es gerne raffiniert und tiefgründig mag und Geschichten mag, wo die Familienbeziehungen und das Innenleben der Charaktere im Mittelpunkt stehen, macht mit dieser Reihe nichts falsch. Eine besondere Dynamik und einige Überraschungen entfaltet dieser Band durch den kreativen Wechsel an Erzählperspektiven.

Bücher

Buch-Tipp: „Paradise Garden“ von Elena Fischer

„Paradise Garden“ von Elena Fischer ist eines der Bücher, das ich mir von der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2023 rausgesucht habe. Im Mittelpunkt des Romans steht die 14-jährige Billie, die mit ihrer Mutter Marika in einer eher tristen Hochhaussiedlung lebt. Über ihren Vater weiß Billie nichts und auch über die Lebensgeschichte ihrer Mutter in ihrem Heimatland Ungarn liess ihre Mutter sie im Dunkeln. Obwohl Billie und ihre Mutter nicht viel Geld haben, sind sie ein Herz und eine Seele, haben liebe Nachbarn und träumen davon in den gerade begonnenen Sommerferien endlich mal in Urlaub zu fahren. Doch gerade als dieser Traum tatsächlich in Erfüllung zu gehen scheint, taucht Billies Großmutter überraschend in Deutschland auf und Billies Leben nimmt eine tragische Wende, nach der sie sich auf die Suche nach ihrem Vater macht.

Der Ton des Romans ist leicht, direkt und locker und schafft es, dass man sich als Leser*in sofort in das Leben der 14-jährigen Billie hineinversetzt fühlt. Die Geschichte an sich ist natürlich traurig, aber niemals düster oder hoffnungslos, Billie ist sicher eine der sympathischsten Hauptfiguren, die mir dieses Jahr beim Lesen begegnet sind. Der Autorin gelingt es ganz hervorragend eine authentische, vielschichtige und berührende Familiengeschichte zu erzählen, in der es kein Schwarz und Weiss gibt, sondern in der fast alle Personen irgendwie Verständnis erzeugen. 

Zusammen mit der wirklich wundervollen Sprache, ist der Roman einfach rundum gelungen und hat die Buchpreis Nominierung aus meiner Sicht definitiv verdient. Möchte man unbedingt etwas kritisieren, würde ich sagen, dass es im letzten Teil eine Szene gab, die ich doch für mich persönlich etwas zu „märchenhaft“ fand und wo die Linie zwischen Fantasie und Wirklichkeit kurz verschwamm, was die Geschichte meiner Meinung nach gar nicht nötig hat. Das ist aber wirklich nur eine Kleinigkeit, die dem Roman keinerlei Abbruch tut. 

Bücher, Hörbuch

Hörbuch-Tipp: „Die Verborgenen“ von Linus Geschke

Heute möchte ich ein Hörbuch vorstellen: „Die Verborgenen“ von Linus Geschke, ein Psychothriller mit einem düsteren unheimlichen Cover, das gut zum Ausgangspunkt der Story passt. Die Familie Hoffmann, Vater Sven, Mutter Franziska und die Teenager-Rochter Tabea leben an der Küste in einem schönen Haus, nach außen hin ist die Familie perfekt. Doch hinter der Fassade bröckelt es: Sven wollte eigentlich nie an die Küste ziehen, Franziska liebt er schon lange nicht mehr, stattdessen seine Geliebte Lara. Franziska ist konservativ und selbstgerecht, doch während sie gerne über andere urteilt, hat sie längst selbst eine Affäre. Tabea ist ein normaler Teenager,  doch ihre Eltern wissen wenig über ihr Leben. Als sich ein mysteriöser Eindringling, ein Phrogger (das sind wohl Menschen, die heimlich in den Häusern anderer Leute wohnen), in das Haus der Hoffmanns einnistet und dort Unfrieden stiftet, zieht das Misstrauen in die Familie ein. 

Das Buch wird abwechselnd aus der Sicht der unterschiedlichsten Personen erzählt: Sven, Franziska, Tabea, dem Eindringling und in der zweiten Hälften gibt es sogar noch mehr Perspektiven. Das macht die Erzählweise des Buches sehr dynamisch und mitreissend, was vor allem beim Hörbuch besonders gut zur Geltung kommt. Allerdings wird die Handlung dadurch auch etwas unübersichtlich. Zusätzlich gibt es parallel auch noch einen Mordfall, dessen Verbindungen zu den anderen Geschehnissen sich erst gegen Ende offenbart. Einerseits macht es das Buch sehr abwechslungsreich, andererseits hätte vielleicht auch einer der Handlungsideen und -stränge für ein spannendes Buch ausgereicht. 

Insgesamt ein unterhaltsamer Roman, der aber für Thriller-Fans vielleicht ein bisschen zu brav und harmlos daher kommt, richtig Grusel oder Hochspannung kam bei mir nicht auf, dafür eine sehr kurzweilige und durchaus aussergewöhnliche Geschichte. 

Die Hörbuchsprecher (sechs an der Zahl) lesen das Buch sehr lebhaft und trotz der großen Anzahl an Sprechern in einem so einheitlichen Stil, dass das ganze Hörbuch aus einem Guss erscheint, eine sehr gute Leistung. 

Bücher

Buch-Tipp: „Risse“ von Angelika Klüssendorf

Das Genre der Autofiktion (ein autobiografischer, aber teils fiktionaler Roman) erfreut sich seit einiger Zeit steigender Beliebtheit bei Autor*innen, aber auch bei Leser*innen. Angelika Klüssendorf kann vielleicht durchaus als Vorreiterin dieses Genres angesehen werden, erregte sie doch vor 20 Jahren Aufmerksamkeit mit ihrem Roman „Das Mädchen“ über ihre schwierige Kindheit in DDR mit einer tyrannischen Mutter, Armut, Vernachlässigung und Heimerfahrungen. Das Buch habe ich damals gelesen und es hat mir auch sehr gut gefallen. „Risse“ (das es auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte) ist nun sozusagen eine Erweiterung des damaligen Romans, in 10 Geschichten werden weitere Episoden aus dem Leben des Mädchens erzählt, Erfahrungen mit der Mutter, Erfahrungen mit dem sprunghaften und alkoholkranken Vater und Erfahrungen aus dem Leben im Heim.

Am Ende jedes Kapitels gibt es eine kurze kursiv geschriebene Einordnung der Geschichte, die mehr über die dahinter liegende Beziehungen verrät und auch zumindest kleinere Hinweise, was von den Geschichten wirklich Autobiografie war und was fiktional verändert. Trotzdem bleibt bei dieser Art Roman natürlich immer eine Unsicherheit, was der Wucht und Kraft der Geschichten aber natürlich auch keinen Abbruch tut, auch als reine Erfinderungen wären sie literarisch außergewöhnlich stark. Ich denke, dass es deswegen auch egal ist ob man „Das Mädchen“ jeweils gelesen hat, die Geschichten sind auch für sich ganz allein stehend unheimlich berührend und einfühlsam, allerdings natürlich auch keine leichte Kost und deswegen für sehr sensible Menschen sicher nicht unbedingt empfehlenswert.

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Buch-Tipp: „Übertretung“ von Louise Kennedy

„Übertretung“ von Louise Kennedy spielt im Nordirland der 1970er Jahre. Die junge Katholikin Cushla lebt mit ihrer alkoholkranken Mutter zusammen, ist Lehrerin an einer Grundschule und abends hilft sie gelegentlich ihrem Bruder Eamonn beim Bedienen in seinem Pub, der aufgrund seiner Lage überwiegend von protestantischen Besuchern besucht wird. Als sie sich in den viel älteren und protestantischen Anwalt Michael verliebt und parallel in die familiären Probleme ihres kleinen Schülers Davy hineingezogen wird, nimmt ihr Leben eine turbulente Wende…

Ich habe schon einige Bücher über den Nordirlandkonflikt gelesen (und auch einige Serien geschaut, die in dieser Zeit spielen) und für mich ist dieser Konflikt (was eigentlich eine recht beschönigendes Wort für einen blutigen Bürgerkrieg ist) ein hervorragendes Beispiel dafür, wie fragil unser „zivilisiertes“ Zusammenleben in Europa nicht nur aktuell ist, sondern schon immer war, auch in Zeiten von Wohlstand und „relativem“ Frieden. Dieser Roman versetzt einen direkt zurück in eine Zeit, wo Nachbarn sich wegen ihrer Religionszugehörigkeit misstrauisch beäugten, verprügelten oder gar töteten. Wo Repressalien, willkürliche Kontrollen und Bombenattentate an der Tagesordnung waren und man am Besten vor dem Einsteigen immer unters Auto schaute. 

Im Roman bleibt dieser Konflikt immer präsent, aber trotzdem erstmal im Hintergrund. Im Mittelpunkt steht Cushlas Gefühlsleben, ihr schwieriges Zusammenleben mit der Mutter, ihr emotionales Engagement als Lehrerin und ihr turbulentes Liebesleben, in dem sie versucht sich mit ihrer Rolle als Geliebte moralisch zu arrangieren. Im Mittelteil fand ich den Roman vom Erzähltempo teilweise etwas langsam, doch das Ende macht dann alles wieder wett, die Geschichte entwickelt sich zu einem Höhepunkt der mitreissend und tragisch und richtig stark ist. Insgesamt deswegen für mich ein sehr bewegendes Buch mit authentischen Charakteren.