Bücher

Buch-Tipp: „Weiches Begräbnis“ von Fang Fang

Letztes Jahr habe ich das Buch „Wuhan Diaries“ von Fang Fang gelesen und hier rezensiert, in dem die chinesische Autorin den Corona-Lockdown in ihrer Heimatstadt durch eindrückliche Tagebucheinträge schilderte. Da mich das Buch sehr fasziniert hat, kam damals schon der Wunsch in mir auf auch einmal einen Roman der Autorin zu lesen, allerdings gab es bisher noch keine Deutschen Übersetzungen ihrer Bücher. Mit „Weiches Begräbnis“ ist nun ein Roman verfügbar, für den sie in China mit einem renommierten Literatur-Preis ausgezeichnet wurde, der aber inzwischen dort durch Druck von politischen Gegnern wegen der kritischen Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen der jüngeren chinesischen Vergangenheit vom Markt verschwunden ist (genau wie schon die „Wuhan Diaries“).
Ich war erst etwas skeptisch ob mir das Verständnis des Buches schwer fallen würde, denn die kulturellen Gepflogenheiten in China sind teilweise schon sehr anders, außerdem ist man als Westeuropäer mit der jüngeren chinesischen Geschichte wenig vertraut und diese spielt laut Klappentext eine tragende Rolle in der Geschichte. Allerdings war die Sorge weitgehend unbegründet, lediglich die für westliche Empfindungen oft sehr ähnlichen Familiennamen und unvertrauten Vornamen machten mir anfangs ein paar Schwierigkeit. Unbekannte Begriffe wurden aber ansonsten sehr gut mit Fußnoten erklärt.

Im Zentrum des Romans steht die alte Frau Ding Zitao, die als junge Frau halbtot aus einem Fluss gefischt wurde und sich an nichts aus ihrer Vergangenheit erinnert. Sie heiratet ihren Lebensretter, einen Doktor namens Wu und bekommt mit ihm einen Sohn, doch jegliches Rühren an ihrer Vergangenheit führt bei ihr zu Angst- und Panikzuständen und so beschließt die Familie die Vergangenheit völlig unberührt zu lassen. Als Ding Zitao bereits über 70 ist, möchte ihr Sohn Jinglin endlich ein lang gehegtes Versprechen einlösen, nämlich ihr einen sorglosen Lebensabend zu ermöglich sobald er genug Geld dafür verdient hat. Er kauft ihr also ein relativ luxuriöses Haus als Altersruhesitz in dem seine Mutter zusammen mit ihm und seiner Familie leben soll. Doch schon beim Betreten des Hauses wirkt seine Mutter verwirrt und verstört und im Laufe der ersten Nacht fällt sie in eine Art Wachkoma oder katatonischen Zustand aus dem sie einfach nicht mehr erwacht.

Das Buch besteht danach aus zwei Erzählebenen, Jinglin versucht anhand der Wortfetzen die er von seiner Mutter gehört hat und mit Hilfe einiger Tagebücher seines Vaters, die er zufällig findet, mehr über die Vergangenheit seiner Eltern herauszufinden. Doch bald stellt sich für ihn die Frage wieviel Vergangenheit ein Mensch überhaupt braucht und vertragen kann und ob Vergessen nicht manchmal sogar die bessere Alternative ist?
Der Leser begleitet parallel Ding Zitao durch ihre eigene Erinnerungswelt in der sie gefangen ist und erlebt ihr Trauma zusammen mit ihr noch einmal.

Mir hat das Buch gut gefallen, man muss sich schon darauf einlassen, dass der Sprachstil und die Erzählweise eines chinesischen Romans für westliche Gewohnheiten etwas fremd klingt, auch die kulturellen Gepflogenheiten und Denkweisen ist für Europäer sicher oft ungewohnt. Aber gerade deswegen bietet der Roman einen wissens- und bewusstseinserweiternden Einblick in eine ganz andere Kultur und zugleich lernt man dass fast jedes Land sich ähnliche schmerzliche Fragen stellen muss, wenn man sich mit den grausameren Aspekten der jüngeren Geschichte auseinandersetzt.

Abgerundet wird das Buch durch einen kleinen Epilog der Autorin über die Entstehungsphase und ein Nachwort in dem die „Bodenreform“ in China näher erklärt und historisch eingeordnet wird und auf die politischen Widerstände eingegangen wird auf die die Autorin mit ihrem Buch traf. Für mich ist es sehr bewunderswert wie Fang Fang – die vom Autor des Nachworts treffend als „streitbare Humanistin“ bezeichnet wird – sich gegen alle Widerstände in ihrem Land mit ihren Worten eine Stimme verschafft, wieviel einfacher haben es westliche Autoren, die sich nicht ständig in dem Maße vor Anfeindungen und Zensur drangsalieren lassen müssen.

Bücher

Buch-Tipp: „Mit Dir, Ima“ von Daniela Kuhn

„Mit dir, Ima“ von Daniela Kuhn ist ein sehr persönliches Buch. Die Schweizerin Daniela Kuhn erzählt darin die Lebensgeschichte ihrer Mutter (das hebräische Wort „Ima“ bedeutet „Mama“), einer Jüdin mit irakischen Wurzel, die in Israel aufwuchs und dann einen nicht-jüdischen Schweizer heiratete, dem sie in die Schweiz folgte. Diese Entwurzelung wäre vermutlich für jeden schon schwierig, doch Daniela’s Mutter ist auch noch psychisch krank, schon vor ihrer Heirat verbrachte sie in Israel einige Zeit in Kliniken. Sie hört Stimmen und leidet öfters unter Wahnvorstellungen (so ist sie irgendwann mal davon überzeugt, dass Prince Charles sie heiraten möchte), die Diagnose lautet Schizophrenie. Über 39x wurde Danielas Mutter im Laufe ihres langen Lebens (zum Erscheinen des Buches war sie über 80) in Kliniken eingewiesen oder liess sich freiwillig einweisen.

Im Mittelpunkt des Buches steht vor allem auch die Beziehung der Autorin mit ihrer Mutter, die in Kindheit und Jugend verständlicherweise oft von Ablehnung geprägt war, dann aber im Alter doch wieder intensiver wurde, schwierig und nervenaufreibend blieb. Aber trotzdem konnte die Autorin im Alter zumindest zeitweise die Nähe zu ihrer Mutter finden, die sie als Kind so schmerzlich vermisst hat.

Die erste Hälfte des Buches fand ich interessant, aber manchmal nicht ganz einfach zu lesen, denn die Lebensgeschichte der Mutter bleibt gefühlt sprunghaft, unvollständig und fragmentiert. Was aber mit Sicherheit daran liegen dürfte, dass das Leben der Mutter eben auch tatsächlich unstet und fragmentiert war und die Autorin die Erinnerungen aus eigenen Tagebucheinträgen und Tagebucheinträgen des Vaters rekonstruieren musste.

Im zweiten Teil erzählt die Autorin dann mehr aus der Gegenwart, wie die Mutter heute im Altenheim lebt, teilweise deutlich stabilisierter als früher, aber dennoch immer wieder in Kliniken eingeliefert werden muss und Mutter und Tochter eine gewisse Stabilität in ihrer Beziehung suchen. Diesen Teil fand ich deutlich eingänglicher und damit auch intensiver und weniger nüchtern erzählt. Am Ende wird auch noch darauf eingegangen wie die Corona-Krise quasi aus dem Nichts das zerbrechliche Gleichgewicht wieder störte, von einem Tag auf den anderen durfte die Autorin ihre Mutter nicht mehr besuchen, diese das Altersheim nicht mehr verlassen.
Die Autorin hat aufgrund dieser Erfahrungen ein Buch über das Besuchs- und Ausgehverbot während Corona in Schweizer Heimen geschrieben, in dem Betroffene ihre Geschichten erzählen konnten.

Mir hat das Buch insgesamt sehr gut gefallen, sicher kein einfaches Thema, aber ein sehr hilfreicher Einblick in den Alltag mit einer psychisch kranken Mutter.

Hörbuch

Hörbuch: „Bei Föhn brummt selbst dem Tod der Schädel“ von Jörg Maurer

Bei Föhn brummt selbst dem Tod der Schädel“ ist der 14. Band der Krimi-Reihe von Jörg Maurer rund um Kommissar Jennerwein und sein Team. Ich habe die meisten der Bücher gelesen, dieser Band ist nun der Erste den ich mir als Hörbuch angehört habe.

Das vom Autor selbst gelesene Hörbuch war definitiv eine gute Entscheidung, denn der Autor liest wirklich hervorragend, vor allem die Darstellung der verschiedenen Personen gelingt ihm wirklich brilliant und jeder Dialekt (egal ob bayerisch, österreichisch oder sogar holländisch) wird mit viel Authentizität, aber trotzdem klar verständlich (sofern man nicht generell ein großes Verständnisproblem mit Dialekten hat) rüber gebracht. Eine echte Bereicherung für das Hörbuch und der „Regionalkrimi“ wird einem so erst richtig nahe gebracht.

Wo viel Licht ist, ist hier aber leider auch relativ viel Schatten, denn inhaltlich hat der neue Jennerwein-Krimi doch so einige Schwächen. Schon öfters zeichneten sich die Krimis nicht gerade durch eine besonders überzeugende Krimihandlung aus, doch so abstrus wie dieses Mal denkt mir noch kein Band.

Am Beginn des Buches haben Jennerwein und sein Team gerade einen relativ unkomplizierten Kriminalfall abgeschlossen, während einer Sitzung steht Jennerwein plötzlich auf, verlässt das Polizeigebäude und …verschwindet.
Am nächsten Tag erwacht er in einer höchst präkeren und absurden Situation. Sein Team macht sich auf die Suche nach ihm, aber als dann auch noch ein Mordfall geschieht und Jennerweins DNA Spuren am Tatort gefunden werden, wird die Lage immer präkerer. Zur gleichen Zeit versucht Jennerwein auf eigene Faust rauszufinden was mit ihm passiert ist. Mehr möchte ich über die Handlung hier nicht verraten, da sonst zu viel gespoilert wird.

Allerdings hatte ich mit der Handlung 2 große Probleme. Erstens: lange Zeit passiert sehr wenig. Nach exakt 50% des Buches ereignet sich dann tatsächlich mal der oben erwähnte Mord. Vorher gibt es viel Drumherum, aber wenig Substanz. Zweitens: das was passiert ist doch ausgesprochen grotesk.
Im letzten Drittel nimmt die Handlung dann Fahrt auf, allerdings wurde ich den Gedanken nicht los, dass man das Buch auch gut um die Hälfte hätte kürzen können, ohne das Wesentliches gefehlt hätte.

Insgesamt würde ich den Band eher nur eingefleischten Jennerwein Fans empfehlen, dann aber gerne als Hörbuch, denn die lesende Darbietung der Geschichte ist wie gesagt exzellent.

Bücher

Buchtipp: „Balaton“ von Noémi Kiss

„Balaton“ der ungarischen Autorin Noémi Kiss ist eine Sammlung von Novellen rund um das Leben am namensgebenden ungarischen Balaton (Plattensee), ein See der vor allem in den 1980er Jahren als Urlaubsort nicht nur bei den Ungarn, sondern auch bei DDR-Bürgern (und vermutlich etwas weniger auch bei West-Deutschen, die mehr Optionen hatten) beliebt war. Ich selbst habe in den späten 90ern und frühen 2000er Jahren einige Male dort Urlaub gemacht, da meine Eltern dort ein Ferienhaus hatten und erlebte den Wandel von einem sehr günstigen Urlaubsort, der damals immer noch bei Deutschen (egal ob aus Ost oder West) sehr beliebt war, hin zu ständig steigenden Preisen und letztendlich zu einer immer mehr nachlassenden Nachfrage.
Als meine Eltern schon zu Zeiten Orbans das letzte Mal dort waren, war dort schon ziemlich „Tote Hose“ und der Verkauf des Ferienhauses mangels Nachfrage gar nicht mal so einfach. Der Sehnsuchtsort Balaton dürfte zumindest für die meisten Ausländer heute keine große Rolle mehr spielen.
Trotzdem haben mir die Urlaube dort immer gut gefallen, so dass mich das Buch von Noémi Kiss sehr gereizt hat.

Die Novellen beschäftigen sich hauptsächlich mit der Erfahrung von ungarischen Familien in den 80er Jahren, meist erzählt aus Sicht eines Kindes (vermutlich da die Autorin in den 80ern auch in dem entsprechenden Alter gewesen war), doch es gibt zum Beispiel auch eine Novelle über einen Mordfall vor Jahrzehnten oder über den Tod eines Großvaters, Korruption, sexuellem Missbrauch im Sport, ..
Die Geschichten sind keineswegs besonders „schön“, oft wird klar, dass das Leben in diesem Ungarn für viele Kinder (und auch Erwachsene) kein Zuckerschlecken war, es geht ums Leben, Sterben und Erwachsen werden, um familiäre Verhältnisse, korrupte Sportfunktionäre, Vergangenheit und Zukunft und aber immer auch um den See und um ein Lebensgefühl, dass er für viele Ungarn zu dieser Zeit verkörperte.

Mir haben die Novellen sehr gut gefallen, 1 bis 2 waren sich vielleicht etwas ähnlich, aber insgesamt fand ich die Mischung sehr gelungen und man bekommt einen guten Einblick in das Leben im „Ostblock“ zu dieser Zeit.

Bücher, Hörbuch

Hörbuch-Tipp: „Unterm Schinder“ von Andreas Föhr

Ich bin ein großer Fan der Krimi-Reihe von Andreas Föhr rund um Kommissar Wallner und seinem für einen Polizisten etwas fragwürdigen Mitarbeiter Kreuthner. Bisher habe ich alle Bände gelesen, „Unterm Schinder“ ist der erste Band den ich mir als Hörbuch angehört habe.

Die Geschichte geht direkt mit einer typischen Verfehlung von Kreuthner los. Um die neue (junge und gutaussehende) Kollegin Lisa zu beeindrucken fingiert Kreuthner an dem verlassenen Bauernhof seines Vaters einen bewaffneten Raubüberfall. Sein Kollege Sennleitner soll mit einer Schreckschusspistole den Einbrecher spielen, damit Kreuthner Lisa mit seinem beherzten Eingreifen vor der „Gefahr“ retten kann und sie sich am Besten gleich verliebt in seine Arme stürzt.
Stattdessen trifft Kreuthner dort aber auf einen echten Schusswechsel und findet dann auch noch eine Leiche. Bei dieser handelt es sich um die Ehefrau eines Mordopfers von vor 2 Jahren, was Wallner Kopfzerbrechen bereitet, denn die Mörderin des Ehemanns sitzt eigentlich im Gefängnis. Wurde die Ehefrau von jemand anderem getötet oder sitzt etwa die falsche Person seit 2 Jahren im Gefängnis?

Der Sprecher des Hörbuchs ist Michael Schwarzmeier, der die Geschichte in einem angenehmen ruhigen Ton vorliest, hervorragend gelingen ihm als Kontrast die Sprechstimmen der männlichen Protagonisten im Dialekt. Highlight war dabei für mich definitiv seine Darstellung von Wallners Großvater Manfred, der im Alter von 90 Jahren diesmal die Mangfall-Mühle und sogar Halluzinagene für sich entdeckt.

Insgesamt hat mir das Hörbuch sehr gut gefallen, der Kriminalfall ist relativ komplex für einen humoristischen Regionalkrimi, die Irrungen und Wirrungen von Manfred sorgen für eine heitere Auflockerung ohne dass der Klamauk im Buch überhand nimmt und das Format Hörbuch eignet sich für das Genre finde ich besonders gut, vor allem durch die gelungene Darbietung des Sprechers bei den Dialogen.