„Weiße Finsternis“ von Florian Wacker ist ein historischer Roman, der auf einer wahren Begebenheit beruht. Im Jahr 1918 startete Roald Amundsen eine arktische Expedition mit seinem berühmten Forschungsschiff Maud. Mit an Bord waren 2 norwegische Männer aus Tromsö: Peter Tessem und Paul Knudsen. Nachdem die Maud in einem Winterquartier in Cape Chelyuskin am nördlichsten Zipfel von Russland im Winterquartier lag, schickte Amundsen die beiden Männer im Herbst 1819 auf dem Fußweg mit einem Schlitten und Schlittenhunden nach Süden zu dem Aussenposten Dikson (eine winzige Siedlung in der Region Krasnojarsk), um seine seine Post und Aufzeichnungen zu übermitteln. Doch die beiden Männer kamen nie an und blieben verschollen.
Diese tatsächliche reale Begebenheit wird in dem Buch Stoff für einen Roman, der die Geschehnisse aus 3 verschiedenen Perspektiven erzählt. Einmal begleiten wir Peter (der schon seit der Zeit auf dem Schiff an immer schlimmer werdenden Migräneanfällen leidet) und Paul durch ihren beschwerlichen Weg durchs Polareis und erleben ihren Überlebenskampf hautnah mit. Der zweite Teil der Geschichte wird aus Sicht des Leiters einer russischen Suchexpedition erzählt, die im Auftrag der norwegischen Regierung wenige Jahre später mit einigen Männern die Route der beiden Männer nachzuverfolgen versuchte und tatsächliche einige Fundstücke und zumindest die Leiche einer der beiden Männer fand (diese Expedition hat tatsächlich stattgefunden und entsprach nach meinen Recherchen auch ungefähr den Ereignissen im Buch). Und zuletzt erfährt der Leser die Gedanken von Liv, der Ehefrau von Peter, die mit den beiden Kindern zuhause in Tromsö schon längst jegliche Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrem Mann aufgegeben hat und versucht eine neue Perspektive für ihr weiteres Leben zu finden. Und auch für Paul ist Liv seit der Kindheit der beiden – auch dieser wird ein Teil des Buches gewidmet – eine ausgesprochen wichtige Person.
Durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven ist das Buch sehr vielseitig, einerseits historischer Abenteuerroman, andererseits fast eine klassische Liebes- und Dreiecksgeschichte. Trotzdem wirkt das Buch durchweg wie eine runde Sache und die verschiedenen Episoden und Erzählweisen wirken nie verwirrend. Mich hat das Buch hervorragend unterhalten und zum Nachdenken angeregt. Die Aufarbeitung und Schlußfolgerungen bezüglich der gescheiterten Reise von Peter Tessem und Paul Knudsen scheint sich nach meinen Nachforschungen aber sehr eng an den tatsächlichen Ereignissen zu orientieren. Wieviel hingegen von der Geschichte um Liv, Peter und Paul wirklich historisch belegt ist (wenn überhaupt irgendwas) weiß ich nicht, aber das ist für das Erzählen eines guten Romans ja auch überhaupt nicht maßgeblich. Für das Buch ist die Geschichte auf jeden Fall ein Gewinn.