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Buch-Tipp: „Nostalgia“ von André Kubiczek

“Nostalgia” von André Kubiczek ist eines der Bücher das es auf die Nominierungsliste für den Deutschen Buchpreis 2024 geschafft hat. Mich hat es angesprochen, da ich sehr gerne Coming-Of-Age Geschichten und Kindheitserinnerungen lese. Dass das Buch autobiografisch ist, habe ich tatsächlich erst im Nachhinein beim Lesen der Widmung realisiert.
Der junge André wächst mit seiner laotischen Mutter, seinem Vater und dem behinderten Bruder Aleng Anfang der 80er Jahre in der DDR auf. Er möchte eigentlich ungern auffallen, doch natürlich ist das als Halb-Asiate in der DDR gar nicht so einfach. Seine Mutter lernte seinen Vater beim Studium in Moskau kennen und entschloss sich mit ihrer Familie in Laos zu brechen, um von nun an in der DDR ein Leben in der Fremde zu führen. Eine Entscheidung, mit der sie durchaus auch haderte, was in dem Roman mit der Zeit auch zum Thema wird. Abgesehen von ganz normalen Kindheitsproblemen rund um Schule, Freundschaft und Erwachsen werden merkt man als Leser:in schnell, dass André auch noch durch eine andere Sorge belastet wird, auch diese wird im Buch später noch viel Raum einnehmen.

Mich hat das Buch sehr berührt, denn der Ton ist einerseits humorvoll und kindlich charmant (ohne, dass es aufgesetzt wirkt), aber trotzdem bleibt die ganze Zeit ein ernster Unterton. Während das Aufwachsen eines Kindes mit Migrationshintergrund in der DDR natürlich eine Facette des Romans ist, liegt die Hauptstärke aber für mich auf jeden Fall in der Familiengeschichte, die absolut stark und persönlich erzählt wird. Gut gefallen hat mir auch, dass während am Anfang des Buches die Bedürfnisse und Erfahrungen von André im Mittelpunkt stehen, im letzten Drittel die Perspektive des Buches aber geändert wird und die Leser:innen mehr über Andrés Mutter und ihre Vergangenheit erfahren und darüber wie sie überhaupt in der DDR gelandet ist, in diesem Leben an der Seite eines Deutschen Mannes in einem Land, das sich sehr stark von Laos unterscheidet. Ein sehr schöner warmherziger und melancholischer autobiografischer Roman.

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Buch-Tipp: „Deine Margot“ von Meri Valkama

„Deine Margot“ von Meri Valkama hat wegen des außergewöhnlichen Settings mein Interesse geweckt. Das Buch spielt überwiegend in den 1980er Jahren in Ostberlin und schildert das Leben in den letzten Jahren der ehemaligen DDR aus der Sicht der Familie eines finnischen Auslandskorrespondenten. Die Autorin hat selbst als Kind in Ostberlin gelebt, so dass ich davon ausgehe, dass eigene Erfahrungen in das Buch eingeflossen sind.

Zur Geschichte: Im Jahr 2011 findet Silja nach dem Tod ihres Vaters einen Briefwechsel, aus dem klar wird, dass ihr Vater in Ostberlin eine Geliebte hatte, die sich noch dazu offenbar sehr mit Silja als Kleinkind verbunden fühlte. Doch Silja, die damals ca 3 oder 4 Jahre alt war kann sich an die Frau überhaupt nicht erinnern. Auf der Suche nach mehr Wahrheit über ihre Kindheit und ihre Familie (die vor dem Tod des Vaters längst zerbrochen war) reist sie nach Ostberlin, mit dem Ziel mehr über das Leben ihres Vaters und seine damalige Geliebte herauszufinden. Und das obwohl sie nicht mal ihren Namen kennt, denn im Briefwechsel schrieben ihr Vater und seine Geliebte sich unter den Decknamen Margot und Erich (natürlich angelehnt an die Honeckers).
Trotz der schwierigen Ausgangslage ist Siljas Recherche mit der Hilfe einer alten Freundin ihrer Mutter Rosa auf einem guten Weg, doch bald muss sich Silja fragen, ob sie wirklich alles über das Leben ihrer Eltern in der DDR wissen möchte.

Der Roman wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt und auf verschiedenen Zeitebenen. Während die Leser:innen im Jahr 2011 mit Silja in der Vergangenheit wühlen, erfährt man in Rückblenden wie Siljas Eltern, Markus und Rosa, das gemeinsame Leben in der DDR empfunden haben. Dabei ist das Kernthema des Buches sicherlich die Entfremdung der Familienmitglieder und die Zerrissenheit und Unzufriedenheit der Eltern. Gleichzeitig erlebt man auch die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche als Leser:in hautnah mit und auch Siljas Entwicklung und Privatleben in in der Gegenwart wird einfühlsam geschildert. Das Buch ist dabei sehr authentisch, poetisch und etwas melancholisch, aber nie hoffnungslos. Ein sehr dichter und beeindruckender Familien- und Gesellschaftsroman.

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Buch-Tipp: „Risse“ von Angelika Klüssendorf

Das Genre der Autofiktion (ein autobiografischer, aber teils fiktionaler Roman) erfreut sich seit einiger Zeit steigender Beliebtheit bei Autor*innen, aber auch bei Leser*innen. Angelika Klüssendorf kann vielleicht durchaus als Vorreiterin dieses Genres angesehen werden, erregte sie doch vor 20 Jahren Aufmerksamkeit mit ihrem Roman „Das Mädchen“ über ihre schwierige Kindheit in DDR mit einer tyrannischen Mutter, Armut, Vernachlässigung und Heimerfahrungen. Das Buch habe ich damals gelesen und es hat mir auch sehr gut gefallen. „Risse“ (das es auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte) ist nun sozusagen eine Erweiterung des damaligen Romans, in 10 Geschichten werden weitere Episoden aus dem Leben des Mädchens erzählt, Erfahrungen mit der Mutter, Erfahrungen mit dem sprunghaften und alkoholkranken Vater und Erfahrungen aus dem Leben im Heim.

Am Ende jedes Kapitels gibt es eine kurze kursiv geschriebene Einordnung der Geschichte, die mehr über die dahinter liegende Beziehungen verrät und auch zumindest kleinere Hinweise, was von den Geschichten wirklich Autobiografie war und was fiktional verändert. Trotzdem bleibt bei dieser Art Roman natürlich immer eine Unsicherheit, was der Wucht und Kraft der Geschichten aber natürlich auch keinen Abbruch tut, auch als reine Erfinderungen wären sie literarisch außergewöhnlich stark. Ich denke, dass es deswegen auch egal ist ob man „Das Mädchen“ jeweils gelesen hat, die Geschichten sind auch für sich ganz allein stehend unheimlich berührend und einfühlsam, allerdings natürlich auch keine leichte Kost und deswegen für sehr sensible Menschen sicher nicht unbedingt empfehlenswert.

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Buch-Tipp: „Unser geteilter Sommer“ von Sophie Hardach

„Unser geteilter Sommer“ von Sophie Hardach befasst sich mit einem Thema der Deutschen Zeitgeschichte, das noch gar nicht so lange her ist, aber mir in der Literatur bisher noch gar nicht begegnet ist. Ella stammt aus Ost-Berlin, lebt aber heute als Künstlerin in England, genau wie ihr jüngerer Bruder. Nach dem Tod der Mutter findet Ella Dokumente, die sie zurück in die Vergangenheit katapultieren, ins Jahr 1987, als Ellas Eltern versuchten mit ihren drei Kindern aus der DDR zu fliehen. Ein schicksalhafter Tag nachdem nichts mehr war wie zuvor. Ellas Mutter landete im DDR-Gefängnis Hohenschönhausen, der Vater verstorben, die beiden älteren Kinder werden von den Großeltern aufgezogen und Ellas jüngster Bruder Heiko wurde der Familie entzogen und adoptiert. Erst nach der Wende kann Ella ihre Mutter wiedersehen. Diese zog mit den beiden älteren Kindern nach Großbritannien, doch nie gab sie die Hoffnung auf herauszufinden was aus Heiko geworden ist. Nach ihrem Tod entschließt sich Ella nach Berlin zu reisen und einen letzten Versuch zu starten.

Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen. Einerseits wird Ellas Suche nach der Vergangenheit geschildert, sie spricht mit Behördenvertretern, ehemaligen Mitgefangenen ihrer Mutter und versucht auf jede erdenkliche Weise an Informationen über ihren Bruder Heiko zu kommen. Dabei lernt sie Aaron kennen, der als Praktikant alte Stasi-Akten wieder zusammensetzt und bittet ihn um Hilfe…dieser Teil der Geschichte ist spannend und dass die Geschichte teilweise aus Sicht von Aaron erzählt wird, ergibt ein ganz neuen und sehr interessanten Blickwinkel auf die Stasi-Machenschaften und Stasi-Akten. Diese Idee hat mir ausnehmend gut gefallen.

Außerdem wird die Geschichte der Familie aus Sicht des Kindes Ella im Sommer 1987 erzählt. Ella ist eigentlich ein recht glückliches Kind, das an seinem Leben in der DDR nichts auszusetzen hat. Die Eltern sind Kunsthistoriker und vor allem Ellas Mutter hadert mit den eingeschränkten Möglichkeiten und der eingeschränkten Kunstfreiheit in der DDR, während ihre Mutter – Ellas Großmutter – von den Idealen der DDR zu 100% überzeugt ist. Auch dieser Teil der Geschichte hat mich zu 100% überzeugt, Ellas kindlicher Blick ist voller Leben und Farbe und man fühlt sich direkt in die sehr sympathische Geschichte zurückversetzt.

Insgesamt schafft das Buch den Spagat sowohl spannend und unterhaltsam, aber auch berührend zu sein und diesen Teil der Deutschen Geschichte auf sehr kurzweilige Art und Weise, aber trotzdem tiefgründig zu vermitteln.