Bücher

Buch-Tipp: „Standing Ovations“ von Charlotte Runcie

Das Buch „Standing Ovations“ von Charlotte Runcie mit einer Sternebewertung zu versehen entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn genau darum geht es unter anderem in dem Roman: Die eher noch am Anfang ihrer Karriere stehende Journalistin und Kritikerin Sophie befindet sich mit ihrem scharfzüngigen und bekannten Kritikerkollegen Alex Lyons (Sohn einer bekannten Charakterdarstellerin) auf dem Fringe Festival in Edinburgh. Dort versieht Alex das Comedyprogramm der aufstrebenden Comedienne Hayley Sinclair mit einer seiner berüchtigten 1-Sterne Bewertungen, doch nicht nur das, er geht in der Nacht nach ihrem Auftritt auch noch mit ihr ins Bett ohne ihr davon zu erzählen. Erst am nächsten Morgen erfährt sie durch Zufall davon. Und reagiert anders als erwartet: sie greift die Ereignisse auf und wandelt sie kurzerhand in ein neues Comedyprogramm (eher ein Happening) namens „Die Sache mit Alex Lyons“  um, das einschlägt wie eine Bombe und eine ganze Schar an Frauen hervorruft, die von ihren eigenen schlechten Erfahrungen mit Alex (und anderen Männern wie ihm) berichten. 

Wie sich die nächsten Wochen entwickelt erfährt man als Leser:in aber nicht durch die Sicht von Hailey oder Alex, sondern immer aus Sicht von Sophie, die das Ganze zum Anlass nimmt, ihre eigene Beziehung zu Alex, aber auch zu ihrem Beruf und ihrem eigenen Privatleben zu hinterfragen.

Mir hat das Buch gut gefallen, es ist durchgehend unterhaltsam, amüsant und relevant, das Einzige was mich von einer 5-Sterne Bewertung abhält (ich würde 4 Sterne geben) ist tatsächlich die Frage, ob Sophie als Mittelpunkt der Geschichte wirklich die stärkste Variante war das Thema zu bearbeiten. Sophie ist ein glaubwürdiger Charakter und jemand mit der man sich auf jeden Fall identifizieren kann, aber durch die Erzählweise erfährt man natürlich nicht so viel über das Innenleben von Hayley (was suboptimal ist) und Alex wird tendenziell durch Sophie eher romantisiert (was im Kontext der Geschichte etwas fragwürdig ist). Insgesamt aber ein sehr kluges Buch mit einem perfekten Setting: wo sonst könnte man ein Buch über die Kulturbranche stattfinden lassen als während des Fringe Festivals in Edinburgh.

Bücher, gesellschaft

Buch Tipp: „Paper Doll“ von Dylan Mulvaney

„Paper Doll: Notes from a Late Bloomer“ ist teils Autobiographie teils „Tagebuch“ von der transsexuellen Influencerin Dylan Mulvaney, die während Corona zuerst auf Social Media einen steilen Aufstieg mit Comedy-Clips und Videos über ihre Transition hinlegte, nur um dann vom rechts-religiösen America einen starken Shitstorm/Backlash zu erledigen, weil die Biermarke Bud Light (wohl aus rechtlichen Gründen im Buch nur als GenericBeerBrand bezeichnet) einen Werbespot mit ihr drehte (warum nicht jeder unabhängig vom Geschlecht Light-Bier trinken oder bewerben kann und sollte erschließt sich dem vernunftbegabten Menschen wohl eher nicht, aber wir leben ja aktuell leider nicht in vernunftbegabten Zeiten, ganz im Gegenteil).

In dem Buch, das äußerlich sehr leicht und humorvoll aufgemacht ist, geht es also nicht nur um schöne Anekdoten und eine heile Showbiz-Welt, sondern auch um mentale Gesundheit, den Wahnsinn von Social Media, aber natürlich auch um Dylans persönliche Erfahrungen mit ihrer Transition und ihren Werdegang im Musical und Showbiz und als Influencerin und ich kann sagen, dass das Buch meine Erwartungen mehr als erfüllt hat, so fand ich es wirklich sehr bewegend, unterhaltsam und lehrreich. 

Das Format wechselt dabei zwischen Tagebucheinträgen aus den ersten 365 Tagen ihrer Transition und tiefgehenderen Kapiteln über verschiedene Themen und Erfahrungen, die Abschnitte unterscheiden sich auch durch verschiedene Schriftarten. Mir hat das wirklich sehr gut gefallen, da das Buch dadurch für mich die perfekte Mischung aus leichter Unterhaltung und ernsteren Kapiteln trifft. Ein tolles Buch für jeden der gerne mehr über andere Menschen lernt, Humor, Herzlichkeit und Musicals mag und in der aktuellen politischen Lage nicht vergessen möchte, dass es in den USA auch Millionen von wirklich tollen und liebenswerten Menschen gibt.

Bücher

Buch-Tipp: „Hundert Wörter für Schnee“ von Franzobel

„Hundert Wörter für Schnee“ von dem österreichischen Schriftsteller Franzobel ist bereits der dritte historische Roman den ich vom ihm lese, nach „Dass Floss der Medusa“ und „Die Eroberung Amerikas“. Ich bin ein großer Fan des Autors, denn es gelingt ihm immer wieder Romane zu schreiben, die auf realen geschichtlichen Ereignissen beruhen, hervorragend recherchiert sind und mit viel Wortwitz und einem unnachahmlichem Stil die Vergangenheit lebendig machen und gleichzeitig über Missstände in der damaligen Gesellschaft (meist die gleichen wie heute) aufklären.

Thematisch ist das Thema von „Hundert Wörter für Schnee“ auch in 2025 absolut hochaktuell, den es geht um die Ausbeutung von Grönländischen Ureinwohner:Innen durch amerikanische Entdecker und andere westliche Player, ein Thema das spätestens seit Trump gar keinen aktuelleren Bezug haben könnte. Im Fokus stehen dabei natürlich auch wieder reale Figuren: Der amerikanische Entdecker Robert Peary ist besessen davon als Erster den Nordpol zu erobern, seine Frau Josephine Peary unterstützte und begleitete ihn und war die erste weiße Frau, die in der Arktis überwinterte (die Treue ihres Ehemanns war ihr trotzdem nicht sicher, denn der gründete parallel eine zweite Familie mit einer Inuit-Frau). Pearys Rivale Frederic Cook behauptet wie Peary als erster Mann am Nordpol gewesen zu sein und der schwarze Matthew Henson ist als Begleitung von Peary zwar mindestens so weit gekommen wie die beiden anderen, wird aber natürlich in er geschichtlichen Berichterstattung im Vergleich weitgehend übersehen. Die eigentliche Hauptperson des Buches ist aber Minik Wallace, ein Inuit, der zusammen mit 5 weiteren erwachsenen Verwandten von Robert Peary im Kindesalter in die USA verschleppt wird, quasi als „Anschauungs- und Forschungsmaterial“. So menschenverachtend wie das klingt, gestaltete sich das Ganze auch und 4 der 6 Inuit starben in den nächsten Jahren zudem an Tuberkulose. Minik überlebte und blieb bis zu seinem (ebenso recht frühen) Tod ein Mensch auf der Suche nach seiner Identität, in Amerika wurde er nie richtig heimisch, zurück in Grönland aber auch nicht mehr.

Der Roman hat mir wieder sehr gut gefallen, zeigt er doch einerseits die Auswirkungen des aus westlicher Sicht häufig romantisierten Kolonialismus, gleichzeitig werden aber auch die Charaktere und ihre im Nachhinein tragischen Obsessionen lebendig und auch der Humor kommt bei Franzobel nie zu kurz. Für mich wieder ein sehr unterhaltsamer historischer Roman, den ich auch Leser:innen empfehlen, die sich sonst nicht so für historische Romane begeistern, denn ich bin eigentlich auch kein großer Fan dieses Genres, aber die Romane von Franzobel haben mich bisher immer absolut abgeholt. Dieser Roman hat es bei mir auch geschafft, noch weiter zu Minik Wallace, Matthew Henson, Josephine und Robert Peary und Frederic Cook zu recherchieren, denn im typischen westdeutschen Geschichtserlebnis meiner Kindheit, bekam der Wettlauf um den Südpol immer viel mehr (ebenfalls romantisierte) Aufmerksamkeit als die Arktiserforschung.