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Buch-Tipp: „Die Eroberung Amerikas“ von Franzobel

Normalerweise lese ich nicht besonders gerne historische Romane, allerdings habe ich mit dem österreichischen Autor Franzobel schonmal gute Erfahrungen gemacht. Sein Roman „Das Floß der Medusa“ (siehe meine Rezension unter: https://litlagletta.com/2017/12/30/lesetipp-das-floss-der-medusa-von-franzobel/) hat mir hervorragend gefallen. Als ich nun also durch die Liste der Bücher schaute, die für den Deutschen Buchpreis nominiert waren, fiel mir „Die Eroberung Amerikas“ sofort ins Auge. Und die Idee hinter dem Buch ist sehr ähnlich wie beim „Floß der Medusa“, ein reales historisches Ereignis dient als Grundlage für einen spannenden, kreativen und ironischen Roman. Und auch diesmal steht eine gescheiterte Expedition im Mittelpunkt der Geschichte: die letzte große Expedition des Konquistadors Hernando de Soto (von Franzobel eingedeutscht Ferdinand Desoto genannt) nach Florida, die spektakulär scheiterte und statt Reichtümern nur einen Teil der ursprünglichen Expeditionsteilnehmer nach Hause zurückbrachte und auf der De Soto selbst einer Fieberkrankheit erlag.

Der Roman orientiert sich ziemlich stark am tatsächlichen Expeditionsverlauf und an tatsächlich stattgefundenen Ereignissen wie der großen Schlacht von Mauvila, lässt aber mehr als genug Freiheit für Franzobels ausgesprochene Fantasie als Schriftsteller. Das Geschehen wird anhand einiger ausgewählter Expeditionsmitglieder und deren Erlebnissen und Schicksalen erzählt, außer De Soto gibt es seinen Inner Circle an Vertrauten, dazu Ganoven und Banditen, junge Männer die eher unfreiwillig ihr bürgerliches Leben aufgaben und bei der Expedition landeten, christliche Eiferer mit bigotten Missionierungszielen, Naturkundler und Forscher, …alle stürzen sie sich angeführt von De Soto in eine Expedition in ein Land das statt der erwarteten Goldschätze primär Sümpfe, Insekten, Schmutz und Kämpfe mit Ureinwohnern zu bieten hat.

Die Sprache ist dabei ironisch, voller Wortwitz und Anspielungen auf die Moderne (ein Stilbruch den ich schon aus Franzobels anderem Roman kenne und der dem historischen Lesevergnügen überhaupt keinen Abbruch tut) und zeigt auf eindrückliche Art und Weise mit welcher perfider Grausamkeit die selbsternannten Entdecker auf ihrer Reise gegen die Ureinwohner und Sklaven vorgingen, deren Land sie sich bemächtigten.
So regt der Roman auch dazu an, darüber nachzudenken wie unreflektiert die damaligen „Entdecker“ heute noch in der Geschichte der USA stark vertreten sind (Desoto z.B. als Namensgeber für diverse Orte und die gleichnamige Automarke), obwohl ihre Rolle in der Geschichte doch primär von Grausamkeiten gegenüber Sklaven und Ureinwohnern geprägt waren.

Kleinere Kritikpunkte habe ich dennoch: so gibt es im Buch noch einen zweiten Handlungsstrang, der in der Gegenwart spielt: Trutz Finkelstein, ein New-Yorker Anwalt, klagt ca fünfhundert Jahre nach der Desoto-Mission im Namen aller Indigenen die Rückgabe der Vereinigten Staaten an diese ein. Das ist zwar eine spannende Idee, aber die Teile nehmen einen so kleinen Teil des Romans ein, dass es irgendwie überflüssig erscheint. Zweitens werden die Geschehnisse im letzten Drittel des Romans teils etwas grotesk auf die Spitze getrieben (was vielleicht aber auch nur Desotos zunehmende Wahnhaftigkeit besser rüberbringen soll), was mir zumindest gelegentlich etwas „too much“ wurde.
Insgesamt aber ein sehr gelungener und kreativer Roman.

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Lesetipp: „Das Floss der Medusa“ von Franzobel

Normalerweise lese ich eher selten bis gar nie historische Romane, „Das Floss der Medusa“ hat aber meine Aufmerksamkeit geweckt, da als Cover das gleichnamige berühmte und beeindruckende Gemälde von Jean Géricault gewählt wurde, das ich sogar schon live im Louvre gesehen habe. Da auch der Klappentext spannend klang, habe ich also mal eine Ausnahme bei meinen Lesegewohnheiten gemacht.

Der Roman beschäftigt sich mit einem tatsächlich stattgefundenem historischen Ereignis: im Jahr 1816 segelte die französische Fregatte Medusa mit ca. 400 Passagieren (darunter Militär, hochrangige Politiker, Matrosen, „normale“ Bürger mit Kindern, Missionare und Forscher…) nach Afrika, in die afrikanische Kolonie Senegal, die kürzlich von Großbritannien an Frankreich zurückgegeben wurde. Aufgrund der Inkompetenzen des unerfahrenen Kapitäns lief das Schiff auf eine Sandbank auf. Da nicht genug Rettungsboote vorhanden waren, wurden knapp 150 Menschen kurzerhand auf ein selbstgebautes Floß verfrachtet, dass von den Rettungsbooten gezogen werden sollten. Diese kappten aber schon nach kurzer Zeit die Seile, so dass das Floß 13 Tage im Meer trieb. Als es letztendlich gefunden wurde, leben von den ursprünglich 147 Personen nur noch 15  gerade so und diese hatten sich nur durch Kannibalismus am Leben halten können. Diese dramatische (und nicht sehr appetitliche) Katastrophe behandelt der Roman trotz des unschönen Themas mit viel Witz, Intelligenz und Spannung.

Die Geschichte entwickelt der österreichische Autor „Franzobel“ anhand der Einzelschicksale einiger Passagiere (von denen es die meisten – aber vermutlich nicht alle – auch tatsächlich historisch belegt gegeben hat). Das Buch startet hierbei schon am Anfang der Reise und der Autor nimmt sich Zeit die unterschiedlichen Personen und ihre Motive und Hoffnungen, die sich mit der Reise nach Afrika verbinden vorzustellen. Dabei hat der Autor einen interessanten, oft auch humorvoll ironischen Stil. Etwas gewöhnungsbedürftig fand ich am Anfang, dass das Buch zwar in einer zum 19. Jahrhunderten passenden etwas altmodischen Sprache geschrieben ist, aber trotzdem aus der Distanz eines heute lebenden Erzählers erzählt wird, so benutzt der Autor zum Beispiel Vergleiche wie „er war so muskulös wie Arnold Schwarzenegger“ oder „es war ein Gewusel wie an einem Flughafen“. Diese offensichtlich absichtlichen Stilbrüche wirken zuerst mal etwas merkwürdig, ich habe mich aber schnell dran gewöhnt und insgesamt hat mir der Stil des Buches hervorragend gefallen.

Die Geschichte liest sich dann auch sowohl spannend, aber auch lässt sich auch viel Zeit für Charakterentwicklung und Informationen über die politischen Zustände im Jahre 1816 als Frankreich nach den Auswirkungen der französischen Revolution noch immer völlig zerrissen ist zwischen liberalen Revolutionären und Royalisten. Auch diese Konflikte finden sich auf dem Schiff wieder und verstärken die durch die Notsituation ausbrechenden Konflikte. Das Buch ist natürlich etwas brutal, denn auch schon vor den dramatischen Ereignissen ist das Leben auf so einem Schiff nichts für empfindliche Personen…wer sich davon nicht abschreckend lässt wird mit einem Buch belohnt, das aus der Masse heraussticht.