Fjodor Dostojewski ist einer meiner Lieblings-Klassikschriftsteller. Ich habe „Schuld und Sühne“ schon vor einigen Jahren gelesen und vor wenigen Monaten eine Neuauflage von „Die Doppelgänger“. Deswegen hatte ich auch große Lust einmal ein Sachbuch über ihn zu lesen und die Neuauflage der Erinnerungen von Dostojewskis (zweiter) Ehefrau Anna Dostojewskaja „Mein Leben mit Fjodor Dostojewski“ kam mir da gerade recht, fand ich es doch besonders spannend direkt von seiner Ehefrau etwas über den berühmten Schriftsteller zu erfahren.
Das Buch schildert entsprechend das Leben des Schriftstellers in den 14 Jahren bis zu seinem Tod in denen er mit Anna Dostojewskaja verheiratet war. Die 20-jährige Anna lernte den damals 44-jährigen Fjodor 1866 kennen als sie von ihrem Stenographie-Lehrer zu ihm vermittelt wurde, er suchte jemanden der ihn bei der Arbeit an seinen Büchern unterstützt. Aus einer sehr produktiven Arbeitsgemeinschaft wurde eine liebevolle Ehe, die von gegenseitiger fast schon überschwänglicher Schwärmerei von dem jeweils anderen geprägt war.
Anna Dostojewskaja schildert ihr Leben mit Dostojewski in sehr strukturierter chronologischer Form (sicher der Tatsache geschildert, dass sie jahrelang stenografisch sehr detailliert Tagebuch schrieb, was beim Verfassen eines solchen Erinnerungsromans sicher sehr hilfreich ist). Beginnend mit der Schilderung ihrer eigenen Kindheit über das Kennenlernen von Dostojewski, die Schwierigkeiten mit seiner Familie direkt nach der Hochzeit, Jahren im Ausland, schwierigen finanziellen und beruflichen Herausforderungen, schlimmen privaten Verlusten und gesundheitlichen Problemen, aber auch vielen „balanen“ und humorvollen Alltagsereignissen. Für mich sehr herausragend an den Erinnerungen waren mehrere Dinge: erstens waren viele der Anekdoten und Erlebnisse wirklich lustig und charmant, zweitens beeindruckte mich die positive Einstellung mit der Anna von der gemeinsamen Zeit mit ihrem Mann schrieb, obwohl der Alltag der beiden von viel Leid (zwei der vier gemeinsamen Kinder starben schon in den ersten Lebensmonaten und -jahren) und Sorgen (ständig Schulden und dem daraus bedingten Zeitdruck unter dem Dostojewski seine Bücher schreiben musste) geprägt war. Trotzdem empfand Anna die Zeit mit ihrem Mann als die glücklichste ihres Lebens und diese tiefe Liebe zu ihrem Mann war wirklich aus jeder Zeile zu entnehmen und sehr bewegend. Trotzdem thematisierte sie durchaus auch die schwierigen Seiten seines Charakters, wie seinen Jähzorn und ständige Eifersuchtsanfälle.
Insgesamt fand ich das Buch rundum gelungen, mitreissend und leicht lesbar geschrieben, unterhaltsam, bewegend und auch einfach perfekt wenn man authentische Einblicke in das Leben in Russland und auch Europa im späten 19. Jahrhundert bekommen möchte. Sehr schön abgerundet wird das Buch mit einigen Fotografien der Familie.
Somit also ein perfekter Start ins Lesejahr 2022.
Gerne möchte ich in Zukunft auch noch den Briefwechsel von Fjodor und Anna lesen, der unter dem Titel „Ich denke immer nur an Dich: Eine Liebe in Briefen“ veröffentlicht wurde, um noch mehr direkte Einblicke in diese wirklich faszinierende historische Liebesgeschichte zu erhalten.