Bücher, Hörbuch

Hörbuch-Tipp: „Die Schwester“ von Petra Johann

„Die Schwester“ von Petra Johann ist ein Krimi der auf den ersten Blick nicht besonders kreativ daher kommt. Im Mittelpunkt des Buches stehen zwei Schwestern: Mara und Lisa. Mara stand immer etwas im Schatten ihrer erfolgreichen und geliebten Schwester, schon als Kind konnte sie ihrer Mutter nichts recht machen, während Lisa alles zuflog. Und auch im Erwachsenenalter scheint diese Rollenverteilung zementiert: Lisa ist erfolgreiche Ärztin, hat einen liebevollen Mann und zwei Kinder, ein perfektes Zuhause mit einem perfekten Leben. Mara lebt von Tag zu Tag, mit zwei Mitbewohnern teilt sie sich eine Wohnung und verdient Geld mit Gelegenheitsjobs und einem OnlyFans Account auf dem sie relativ harmlose Bilder mit einem männlichen Publikum teilt. Trotz dieser etwas plakativen Rolle einer unsteten Anti-Heldin ist sie eine liebevolle Tante für ihren Nichten und Neffen und versteht sich inzwischen auch gut mit ihrer Schwester Lisa. Groß ist der Schock als diese nach einer beruflichen Tagung nicht wieder auftaucht. Während die Ermittlungen der Polizei aufgrund des mutmaßlich freiwilligen Verschwindens nur stockend in die Gänge kommen, ermittelt Mara auf eigenen Faust…

Die Sprecherin des Hörbuchs – Sarah Dorsel – hat mir sehr gut gefallen. Sie liest sehr dynamisch und lebhaft, so dass das Buch von der Atmosphäre her manchmal fast wie ein Hörspiel wirkt, etwas das sich bei einem unterhaltsamen Krimi besonders gut macht. Lediglich die Darstellung der Mara fand ich am Anfang etwas sehr „flapsig“, auch wenn es vermutlich zum Charakter passt. 

Die Geschichte hat mich durchaus überrascht, auch wenn einige Wendungen mit der Zeit für einen versierten Leser erraten werden können. Trotzdem ist die Geschichte, aber auch interessant, wenn man sich einige Dinge vorher denken kann und vor allem behandelt das Buch ein komplett anderes Thema als man von typischen Krimis gewohnt ist (das ich aus Spoilergründen hier nicht verraten möchte). 

Wenn man an dem Roman etwas kritisieren möchte, dann vielleicht die folgenden zwei Punkte: erstens, das Buch ist vielleicht kein Krimi im klassischen Sinne. Jemand der das erwartet könnte enttäuscht werden. Zweitens: einige Handlungsstränge und Beziehungen von Charakteren geraten im Laufe des Buches in den Hintergrund und die offenen Fäden werden nicht wirklich aufgelöst: so steht am Anfang des Buches die Beziehung von Mara und dem Polizisten Oliver stark im Mittelpunkt, doch am Ende spielt diese eigentlich überhaupt keine Rolle für die Handlung. Dies ließ mich etwas irritiert zurück.

Davon abgesehen, hat mir das Buch aber sehr gut gefallen, vor allem da es mal komplett andere Themen behandelt als andere Krimis.

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Buch-Tipp: „Die Einladung“ von Emma Cline

Emma Cline machte vor einigen Jahren mit ihrem Debütroman „The Girls“ von sich reden. Da mir dieses Buch sehr gut gefallen hatte, wollte ich mir auch das neueste Werk der Autorin – „Die Einladung“ – nicht entgehen lassen.

Im Mittelpunkt der Geschichte, die sich innerhalb weniger Tage abspielt, steht die 22-jährige Alex. Alex ist nicht gerade ein Hauptcharakter mit dem man sich direkt identifizieren kann, keine typische Sympathieträgerin, denn wie schnell klar wird: Alex Strategie besteht bisher mehr oder weniger daraus sich mit Hilfe von Charme durchs Leben durch zu schnorren (und gelegentlich auch einfach etwas mitgehen zu lassen). Relativ schnell lässt sich erahnen, das Alex die letzten Jahre als Escort-Dame (im besten Fall) gearbeitet hat, was aber nur kurzfristig von Erfolg gekrönt war. Zum Zeitpunkt des Romanstarts zeigen sich erste Risse in der jungen und schönen Fassade, die Kunden bleiben aus, Alex Charme scheint immer weniger Eindruck zu machen und ihre Mitbewohner werfen sie raus, nachdem sie die Miete nicht mehr zahlen konnte. Als wäre das nicht genug ist Alex Ex-Freund hinter ihr her (warum erschließt sich erst im Laufe des Buches).

Alex setzt nun alles auf eine Karte: auf Simon, ihr gut situierten viel älteren Liebhaber, für den Alex versucht die Rolle der perfekten Freundin zu spielen, so überzeugend, dass sie fast schon selbst glaubt, tatsächlich in Simon verliebt zu sein. Alex verbringt am Anfang des Buches die Tage in den Hamptons: während Simon arbeitet liegt sie am Strand, abends begleitet sie ihn als perfekt gestyltes Accessoire zu Parties seiner reichen Freunden…Ihr Ziel dabei: ihren Status als Simons Lebensgefährtin zementieren. Doch da das Chaos Alex folgt und sie letztendlich immer in irgendein Fettnäpfchen tritt, passiert das Unvermeidliche: Simon wirft sie raus und sie steht vor dem Nichts, ohne Unterkunft und ohne Perspektive. Zurück nach New York kann sie wegen ihres Ex-Freundes nicht. Doch sie ist überzeugt Simons Gunst auf seiner großen Party am kommenden Samstag zurück gewinnen zu können, nur die knappe Woche bis dahin muss sie irgendwie rumkriegen. Darauf folgt eine Odyssee in der Alex Tag für Tag neue Wege finden muss, die Reichen und Schönen für sich einzunehmen.

Das Buch liest sich auch tatsächlich ein bisschen wie in einem Sog, durch den man auch als Leser:in irgendwie unkontrolliert treibt, ein wilder Ritt durch Alex Tage, mehr ein Lebensgefühl als eine lineare Geschichte. Und Alex Kontrollverlust und die Ungewissheit wird so spürbar, dass es fast beklemmend ist, trotzdem hat das Ganze auch irgendwie etwas Tragik-Komisches und Alex (über deren persönlichen Hintergrund man erstaunlich wenig erfährt) wächst einem trotz aller ihrer Ecken und Kanten und fragwürdigen Entscheidungen irgendwie ans Herz.

Mir hat das Buch wirklich gut gefallen, es ist sehr außergewöhnlich und mal etwas ganz anders. Trotzdem hätte ich mir manchmal gewünscht etwas mehr über den Menschen Alex zu erfahren, auch wenn die Geschichte sicher absichtlich aus stilistischen Gründen so episodenhaft und ohne Hintergründe geschrieben wurde. Wer gut mit Ungesagtem und offenen Enden zurecht kommt, wird auf jeden Fall eine sehr besondere Milieustudie zu lesen bekommen.

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Buch-Tipp: „Wandering Souls“ von Cecile Pin

„Wandering Souls„ von Cecile Pen hat mein Interesse geweckt, da es die Geschichte einer vietnamesischen Einwanderer-Familie erzählt. Teile der Geschichte beruhen lose auf der Familiengeschichte der Autorin. Ich habe dieses Jahr schon einige Bücher von und über asiatischen Einwanderern gelesen, teils Romane und auch eine Autobiografie, die mir sehr gut gefallen haben und dieser Roman klang ebenfalls sehr besonders. Ich kann sagen, dass ich auf keinen Fall enttäuscht wurde, ich würde sogar sagen „Wandering Souls“ ist eines der absoluten Highlights meines Lese-Jahres 2023.

In den 70-er Jahren lebt die 16-jährige Anh mit ihrer 7-köpfigen Familie in Vietnam. Der Krieg ist überstanden, doch Anhs Eltern träumen von einer Flucht in die USA, hat Anhs Onkel diese doch schon erfolgreich geschafft. Anh und ihre beiden Brüder Minh und Thanh werden als ältere Kinder von den Eltern vorausgeschickt, ihre Eltern wollen mit den drei jüngeren Geschwistern nachkommen. Doch während Anh und ihre Brüder es in ein Übergangslager in Hongkong schaffen, stirbt der Rest der Familie auf dem Weg dorthin und Anh kann nur noch ihre toten Körper identifizieren. Von heute auf morgen ist die 16-jährige das Familienoberhaupt und für ihre beiden Brüder verantwortlich. Statt in den USA landen die 3 Geschwister in England und müssen sich ohne Familie dort ein Leben aufbauen.

So traurig die Geschichte, so wundervoll der Roman. Zugleich sprachlich einfach und präzise und trotzdem sehr poetisch wird die Geschichte von Anh erzählt, wie sie mit Pragmatismus und Verantwortungsbewusstsein ihren Weg findet und trotz aller Enttäuschungen immer noch vorne schaut. Der Lebensweg der Geschwister behandelt überwiegend die Flucht, der Weg zum Erwachsenwerden, aber die Leser:innen erfahren auch was aus der Familie geworden wird und ob mit so einer Lebensgeschichte Friede zu finden möglich ist. 

Eine absolute Leseempfehlung für ein wundervoll einfühlsames Buch.