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Buch-Tipp: „Leibnitz“ von Andreas Kiendl

„Leibnitz“ ist das Roman-Debüt des österreichischen Schauspielers Andreas Kiendl (bekannt z.B. aus SOKO Kitzbühel). Der Roman spielt, wie man dem Titel unschwer entnehmen kann, im steirischen Leibnitz, einer Kleinstadt mit etwas über 100 000 Einwohnern. Der Roman wird teilweise als Krimi vermarktet, was ich aber relativ irreführend finde, denn eine klassische Krimihandlung wird man als Leser definitiv vermissen. Ich fand das aber gar nicht schlimm, den die Geschichte ist auch so faszinierend genug.

Im Mittelpunkt steht das Ehepaar Claudia und Christian. Claudia wuchs in einem eher alternativen und intellektuellen Elternhaus auf, ihre Mutter eher liberal freigeistige Lehrerin, ebenso ihr Stiefvater. Wie um dagegen zu rebellieren wandte sich Claudia früh der Religion zu und verliebte sich in Christian, der aus einer traditionellen eher spießigen Leibnitzer Familie kommt. Die beiden bekommen zwei Kinder, leben mit Christians Eltern in einem Haus und teilen begeistert das gemeinsame Hobby im Chor zu singen. Abgesehen davon läuft es zwischen Claudia und Christian am Beginn des Buches nicht besonders gut. Claudia hatte vor einiger Zeit eine Affäre, seitdem ist ihr Verhältnis zu den Schwiegereltern komplett zerrüttet und das mit Christian, der seitdem mehr trinkt als es selbst für einen steirischen Mann üblich ist, ebenfalls schwer angeschlagen. Als Claudias Mutter Anna ihrer Tochter eröffnet, dass sie mit dem Stiefvater nach Kanada auswandern will, bricht Claudias Welt erst recht zusammen. Denn obwohl Claudia ihre Mutter meist ablehnt, verzeiht sie ihr diesen “Verrat” trotzdem nicht. Claudia ist mit der Gesamtsituation alleine mit Schwiegereltern, Kindern und oft betrunkenem Mann mehr als unglücklich, doch etwas später baut Christian angetrunken einen Autounfall und im Haus der Familie verändern sich die Machtverhältnisse von da an…

Das Buch erzählt davon aufbauend in mehreren zeitlich teilweise länger auseinander liegenden Abschnitten von der Entwicklung der Ehe und der Familie, von Eskalationen, Hoffnungsschimmern, Rückschlägen und menschlichen Abgründen…

Was das Buch für mich interessant (aber auch etwas nervig machte) ist, dass kaum einer der Hauptcharaktere wirklich sympathisch ist. Claudia lehnt das Leben ihren freiheitsliebende Mutter ab, gleichzeitig verachtet sie ihre Schwiegereltern mit denen sie in einem Haus lebt quasi genauso und schaut wegen deren kleinbürgerlicher Spießigkeit auf sie herab. Christian ist ein Großkotz und Lebemann, der aber hinter großen Worten nicht wirklich viel zu bieten hat und weinerlich dem Alkohol verfällt. Wer nach Charakteren sucht mit denen er sich identifizieren kann, wird also vermutlich eher schwer fündig werden, aber als Psychogramm einer zerrüttenden Familie funktioniert der Roman trotzdem ganz hervorragend und ist faszinierend zu lesen. Die Einstufung als Kriminalroman finde ich aber definitiv vom Verlag eher unglücklich.

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Buchtipp: „Vater unser“ von Angela Lehner

„Vater unser“ von Angela Lehner ist ein österreichischer Roman mit einer sehr ungewöhnlichen Protagonistin. Eva Gruber ist Ich-Erzählerin und wurde gerade in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, weil sie (zum Glück nur) behauptete eine Kindergartenklasse erschossen zu haben. Die Hintergründe ihres Verhaltens und ihr Motiv bleibt dabei erstmal unklar. Als Leser merkt man schnell, dass man Eva als Erzählerin nicht unbedingt trauen kann. Sie ist auf jeden Fall hochintelligent, hat einen bissigen Humor, ist scharfzüngig, aber schon in der Schule sagten die Klassenkameraden über sie häufig „Die Eva lügt immer!“.

Ebenfalls in der psychatrischen Klinik in Behandlung ist Evas Bruder Bernhard, der wegen Magersucht dort behandelt wird. Schnell drängt sich beim Leser der Verdacht auf, dass Eva vielleicht nur wegen ihm in der Klinik ist. Vorgeblich möchte sie ihren Bruder retten, doch der reagiert eher ablehnend auf Eva und es ist klar, dass die familiären Verhältnisse der Geschwister kompliziert sind. Schnell wird klar, dass für Eva alles mit ihrem Vater zusammenhängt und dass Eva und Bernhard ihre Kindheit als traumatisierend empfunden habe, doch was genau die Hintergründe für die psychischen Probleme der beiden Geschwister sind bleibt schwammig. Man erfährt in sprunghaften kurzen Kapitels Episoden aus Evas Kindheit und muss sich ansonsten ganz auf ihre Erzählungen verlassen, bei denen man aber nie wirklich weiß was Wahrheit und was Lüge ist.

Das Buch liest sich dabei kurzweilig und sehr unterhaltsam. Eva ist mit ihrer Egozentrik und ihrem Hang zur Manipulation ihres Umfelds sicher kein besonders sympathischer Charakter, trotzdem sind die Schilderungen des Klinikalltags oft erstaunlich pointiert und man fragt sich oft, wer nun eigentlich „verrückt“ ist.

Mir hat das außergewöhnliche Buch sehr gut gefallen.

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Buchtipp: „Schöne Monster“ von Sharlene Teo

„Schöne Monster“ von Sharlene Teo besticht auf den ersten Blick durch ein wunderschönes Cover, das mich sofort ansprach und Lust auf das Buch weckte. Doch auch inhaltlich konnte mich der Roman, der in Singapur spielt zum Glück mindestens genauso überzeugen. Im Zentrum des Romans der auf 3 Zeitebenen aus 3 Perspektiven erzählt wird stehen dazu passend auch 3 Frauen, die eng miteinander verbunden sind: Die überdurchschnittliche schöne und anziehende Amisa wächst in den 70er Jahren in einem kleinen Dorf auf dem Land auf und verlässt als Teenager ihre Familie, um auf eigene Faust nach Singapur zu ziehen. Dort hält sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, bis sie als Darstellerin einer eher trashigen Horror-Film-Trilogie entdeckt wird. Der Regisseur verspricht Amisa großen Ruhm, mangels Verleih und wirklichem Kassenerfolg bleibt die Trilogie aber der einzige Ausflug ins Film-Business und Amisa wird nur für ein paar Nerds ein Star. Genauso wie ihre Karriere nie abhebt, verläuft auch ihr Leben nicht wie erhofft…

Im Jahr 2003 ist Amisas Tochter Szu 16 Jahre alt. Im Gegensatz zu ihrer Mutter ist sie nicht mit einem schönen Aussehen gesegnet und auch sonst in der Schule eher eine Außenseiterin, die bestenfalls von ihren coolen Mitschülerinnen in Ruhe gelassen wird. Szu passt nirgends so richtig rein, eckt überall an, fühlt sich mit sich selbst nicht wohl und auch von ihrer Mutter abgelehnt. Als die ebenfalls eher unbeliebte Circe sich mit ihr anfreundet, wendet sich für beide Mädchen erst mal alles zum Besseren. Doch als Amisa schwer krank wird, wird die aus einer Notgemeinschaft entstandene Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

2020 treffen wir Circe, Szu’s Freundin aus Teenagerzeiten wieder. Die hat gerade eine Scheidung hinter sich und fühlt sich mit Anfang 30 in ihrem Job als Social-Media-Marketing-Irgendwas schon langsam zum alten Eisen gehörend. Ausgerechnet zu dieser Zeit wird sie zurück in ihre Jugend katapultiert, als ihre Firma eine Kampagne für eine Neuauflage der Horrorfilme mit Szu’s Mutter erstellen soll. Die Erinnerungen zwingen Circe mehr oder weniger gegen ihren Willen dazu ihre schwierige Beziehung zu Szu zu reflektieren, die nie wirklich aufgearbeitet wurde…

Das Buch erzählt immer abwechselnd in Szenen aus dem Leben von Amisa, Szu und Circe, die Zeitsprünge und Perspektivenwechsel sind dabei wirklich gut umgesetzt. Die Charaktere sind durchweg interessant und faszinierend und jeder auf seine eigenen Art und Weise liebenswert, obwohl vor allem Szu und Circe als sehr widersprüchliche und eher sperrige Charaktere gezeichnet sind. Um so mehr kann man sich in beide einfühlen, wobei mir Szu am meisten ans Herz gewachsen ist. Die Sprache ist mitreissend und poetisch, trotzdem modern und leicht, so dass ich das Buch in kurzer Zeit verschlungen habe. Für mich zu 100% lesens- und empfehlenswert und eines meiner bisherigen Lese-Highlights von 2019.