„Ein notwendiger Tod“ ist der zweite Teil von Anne Holts neuer Krimireihe rund um die Detektivin Selma Falck. Da ich den ersten Teil schon als Hörbuch gehört habe, habe ich auch beim 2. Teil diese Form gewählt. Diesmal beginnt das Buch mit einem Schock für Selma Falck. Sie wacht orientierungslos und verwirrt in einer brennenden Hütte auf, aus der sie sich nur mit allerletzter Kraft befreien kann. Wie sie dorthin gekommen ist und wo sie ist, weiß sie nicht und auch als Leser:in erfährt man das erstmal nicht. Denn schon springt das Buch einige Monate zurück, in einen Sommer wo noch alles soweit ok schien: Nach ihrem Spielsucht-bedingten gesellschaftlichen und familiären Absturz hat sich Selma Falck inzwischen wieder einigermaßen berappelt, auch wenn das Verhältnis zu ihren Kindern und vor allem zu ihrer Tochter schwierig bleibt. Letztere heiratet ihren Verlobten, einen rechtspopulistischen Meinungsbilder. Selma ist zur Hochzeit zwar eingeladen, doch an den Katzentisch verbannt. Von dort muss sie mit ansehen wie der frischvermählte Gatte ihrer Tochter bei einer Rede für die Gäste tot zusammenbricht. Gestorben an seiner Macadamia-Nuss-Allergie und das obwohl diese allen bekannt war und weit und breit keine Nüsse in Sicht waren. Der Besitzer des Sterne-Restaurants, der die Hochzeit ausrichtete, beauftragt Selma damit, herauszufinden wie es zu dem Todesfall kommen konnte, um einen Imageschaden für sein Geschäft abzuwenden. Wirkt es erst so, als gäbe es gar keinen Fall, kommt Selma mit der Zeit unglaublichen Vorgängen auf die Spur…
Wie auch im ersten Fall zeichnet sich der Krimi vor allem dadurch aus, dass brandaktuelle gesellschaftspolitische Themen sehr anschaulich und spannend aufgegriffen werden, in diesem Fall die Verrohung des politischen Diskurses durch Fake News und Desinformation in den Sozialen Medien und die Radikalisierung der extremen rechten und linken politischen Ränder und die Frage wie eine demokratische Gesellschaftsordnung damit umgehen kann. Alles Themen die nicht nur in Norwegen eine Herausforderung darstellen. Der Kriminalfall birgt hierbei einige Überraschungen und das Buch hat mich wieder sehr gut unterhalten, auch Katja Bürkles ruhige, aber trotzdem nicht langweilige Vortragsweise passt sehr gut zu dieser typisch nordischen Krimireihe.
„Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher ist das zweite Buch, das ich dieses Jahr aus den Nominierungen für den Deutschen Buchpreis ausgewählt habe. Das Buch ist ein autobiografisch geprägter Roman über die Mutter der Autorin bzw. über die toxische Beziehung zwischen ihren Eltern. Der Roman spielt Anfang und Mitte der 80er Jahre, als die junge Ela ca. 5 – 8 Jahre alt ist. Die Familie ist auf Wunsch des Vaters zurück in sein Heimatdorf gezogen und die Familie wohnt zusammen mit seinen Eltern in einem Haus. Der Vater arbeitet „quasi“ als Ingenieur in einer Firma (er stammt aus einer Bauernfamilie und hat sich aus einer Ausbildung als technischer Zeichner hochgearbeitet), fühlt sich aber dort nicht ausreichend wertgeschätzt und die erhoffte Beförderung bekommt am Ende doch immer der Junior des Chefs. Frustriert über seine mangelnden Erfolge entwickelt der Vater die fixe Idee das Übergewicht seiner Frau sei hauptschuldig an all seinen fehlenden Erfolgen, nicht vorzeigbar sei Elas Mutter, nicht mal bei wichtigen Weihnachtsfeiern der Firma. Der Alltag der Eltern ist geprägt von Sticheleien, Vorwürfen und Vorhaltungen und auch Ela kann sich über die Jahre dem Blick des Vaters auf die Mutter nicht ganz entziehen. Gleichzeitig ist Elas Mutter eine Kämpferin, die sich nicht unterkriegen lassen will und einerseits versucht ihr eigenes Leben zu leben, eine eigene Karriere zu haben und den Einschränkungen und Zwängen des konservativen und spießigen Dorflebens der 80er Jahre zu entkommen, aber andererseits versucht alle familiären Anforderungen die ihre Kinder, ihr Mann und ihre pflegebedürftigen Eltern an sie stellen zu erfüllen. Eine unlösbare Aufgabe.
Das Buch hat mich von Anfang an gefesselt. Die Familie wird komplett aus der Sicht der jungen Ela geschildert, ihr kindlicher Blick auf die Geschehnisse ist immer authentisch und wirkt nicht irgendwie aufgesetzt oder als hätte ein Erwachsener versucht wie ein Kind zu denken. Das Buch ist tragisch und traurig, aber trotzdem immer warm und teils sogar humorvoll und alle Charaktere sind irgendwie fair und verzeihend gezeichnet, so dass das Buch trotz aller Tragik immer eine wundervolle Leichtigkeit aufweist.
Das Buch ist also einerseits eine wirklich authentische Kindheitsgeschichte, gleichzeitig ein schonungsloser Blick auf die Hürden und Zwänge mit denen Frauen in den 80er Jahren zu kämpfen hatten, Themen wie Body Shaming, Diätkultur und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind auch heute noch aktuell wie eh und je und man kann sich anhand des Buches die Frage stellen, wie viel sich bis 2022 wirklich verändert hat.
Definitiv eines der Lese-Highlights von 2022 für mich!
„Ich bin nicht da“ von Lize Spit wollte ich auf jeden Fall lesen, da mich schon ihr Erstlingswerk „Und es schmilzt“ begeistert hatte. Die Bücher von Lize Spit sind thematisch nie einfach, aber dafür um so intensiver. In „Ich bin nicht da“ steht das Pärchen Leo und Simon im Mittelpunkt. Leo hat als Teenagerin unter traumatischen Bedingungen ihre Mutter verloren und diesen Verlust nie richtig verarbeitet. Außerdem ist sie vom Land nach Brüssel gezogen und fühlt sich dort oft noch verloren und fehl am Platz. Als sie beim Studium Simon kennenlernt, fühlt sie sich mit ihm sofort verbunden, denn auch er verliert gerade seine Mutter an eine schlimme Krankheit. Die beiden werden ein Paar und für Jahre läuft alles gut, die beiden sind sich selbst genug, Simon arbeitet für eine Medienagentur, Leo würde gerne schreiben, arbeitet aber hauptberuflich in einem Geschäft für Schwangerschaftsmode. Im Großen und Ganzen scheinen beide halbwegs zufrieden und solide, doch von einer Nacht auf die Andere wird alles anders. Simon kommt nachts nicht nach Hause, meldet sich von unterwegs nicht und als er doch wieder auftaucht, hat er sich spontan tätowieren lassen und wirkt aufgekratzt und fast manisch. Er kündigt von jetzt auf nachher seinen Job und träumt davon sich mit einer kreativen Idee selbständig zu machen. Leo ist zunächst nur irritiert und verwirrt, doch bald hat sie den Eindruck, dass es den alten Simon gar nicht mehr gibt, sie traut ihm nicht mehr, hat fast Angst um ihn und auch ihr eigenes Leben leidet immer mehr unter seinem Verhalten. Doch ihre Versuche ihn dazu zu bringen sich Hilfe zu holen, scheitern zunächst und die Situation wird immer schwieriger.
Das Buch ist komplett aus der Sicht von Leo geschrieben und sehr intensiv. Es spielt auf zwei Zeitebenen, einerseits wird ein aktueller Tag in der Gegenwart beschrieben, der Tag an dem alles eskaliert. Dazwischen wird in chronologischen Kapiteln die Zeit von Simons plötzlicher Veränderung bis hin zu dem schicksalshaften Tag beschrieben und dazwischen eingeschoben sind noch Kapitel über Leos und Simons Leben in den letzten 10 Jahren zusammen. Trotz der vielen Zeitsprünge ist das Buch nie verwirrend, sondern alles fügt sich perfekt zusammen, so dass sich das ganze Buch liest wie ein Sog, dem man sich gar nicht mehr entziehen kann.
Das Buch ist auch unheimlich stark in der Schilderung von Simons Psychose und Leos Gefühlen dabei, wie sie von Simons Krankheit ebenfalls fast absorbiert wird und hilflos versucht die Situation unter Kontrolle zu haben, sie manchmal aber vielleicht sogar schlimmer macht. Das Buch wirft für mich auch spannende Fragen auf: trägt Leo eine Mitschuld, da sie teilweise nicht ganz ehrlich über das Ausmaß von Simons Krankheit ist? Was für einen Einfluss hatte ihre Neigung skeptisch auf Simons berufliche Ideen und Ambitionen zu reagieren auf seine Krankheit? Oder hätte sowieso keiner etwas besser machen können.
Mir hat das Buch noch besser gefallen als das Erstlingswerk, da es intensiver und kraftvoller ist und einfach unheimlich überzeugend in der Schilderung einer psychischen Krankheit und der Auswirkung auf die nächste Angehörige und Partnerin. Allerdings ist das Buch auch wirklich nichts für schwache Nerven, eventuell wäre eine Triggerwarnung für bestimmte psychische Krankheiten keine schlechte Idee. Ich bin normalerweise bei Büchern nicht empfindlich, trotzdem musste ich sogar einmal als ich abends im Bett las, nach dem Buch erstmal nochmal etwas völlig anderes lesen, da ich sonst vermutlich nicht hätte einschlafen können oder Albträume bekommen hätte, so aufgewühlt war ich über einige Passagen.
Davon abgesehen, eine absolute Leseempfehlung von mir für alle die sich das Thema zutrauen.
Dieses Jahr habe ich zum ersten Mal die Frankfurter Buchmesse besucht. Eine gute Freundin von mir geht schon seit mehreren Jahren als Bloggerin (http://www.glimrende.de) zur Buchmesse und nach der langen Corona Pause ohne größere Veranstaltungen hatte ich große Lust auch einmal mitzukommen. Da ich vor Corona noch nie dort war, kann ich nicht wirklich vergleichen wie es im Vergleich zu 2019 war, aber laut meiner Freundin ist es weitgehend wieder wie vorher, außer dass die Gänge etwas breiter sind, die Showküche noch fehlt und die Stände teilweise vorher noch etwas spektakulärer waren (letzterer kann aber auch der Inflation- und Energiekrise geschuldet sein, da auch die Kosten für Messestände und -Materialien sicherlich ziemlich explodiert sind).
Meine Spontankäufe von der Buchmesse
Da es mein erster Besuch auf der Buchmesse war, habe ich mir zwar einige interessante Veranstaltungen und Vorträge rausgeschrieben, bin aber mit dem Plan hingefahren, es eher locker angehen zu lassen und mir erstmal in Ruhe einen Überblick zu verschaffen. Entsprechend habe ich den Freitag vormittag also genutzt, um erstmal durch die drei größten Hallen (mit Fokus Romane und Sachbuch) zu schlendern und mich in die verschiedenen Verlage zu vertiefen. Trotzdem konnte ich mir am „Blauen Sofa“ auch zwei sehr interessante Gespräche anhören. Einmal mit Daniela Dröscher, der Autorin des für den Deutschen Buchpreis nominierten autobiografisch geprägten Romans „Lügen über meine Mutter“. Das Buch habe ich schon auf meinem Kindle auf der „To Read“ Liste, allerdings habe ich es vor der Buchmesse nicht mehr geschafft, es schon zu lesen. So konnten die Ausführungen der Autorin zu Body Shaming und dem komplizierten und missbräuchlichen Verhältnis ihres Vaters zu ihrer Mutter meine Vorfreude auf das Buch aber nochmal verstärken.
Interview am „Blauen Sofa“
Das zweite Autor:innen Interview war mit Karen Duve über ihren Roman „Sisi“. Hier war es so, dass dieses Buch eigentlich nicht wirklich mein Interesse geweckt hatte, denn mit Sisi konnte ich noch nie besonders viel anfangen (schon gar nicht mit der von Romy Schneider gespielten verklärten 50er Jahre Film-Version). Erst durch das Gespräch wurde mir aber klar, dass der Roman nur ca. 2 Jahre aus Sisis Leben intensiv beleuchtet und dabei auch noch 2 Jahre in denen Sisis Leidenschaft für Reitjagden eine signifikante Rolle spielt. Für mich als Pferde- und Reitfan also vielleicht doch ein lesenwertes Buch (auch Karen Duve ist passionierte Pferdefreundin, wie sie in dem Interview verriet).
Karen Duve spricht über ihren Roman „Sisi“
Den Nachmittag lies ich dann nach einem Mittagessen an den Food Trucks im Innenhof der Buchmesse gemeinsam mit meiner Freundin ausklingen. Von den verschiedenen Verlagen ist mir vor allem die sehr prominente Werbung für Sebastian Fitzek in Erinnerung geblieben, sicher auch einer der populären „Mainstream-Hauptattraktionen“ . Ich selbst fand die meisten Mainstream-Lieblinge (und Spontankäufe) beim Kosmos-Verlag. Außerdem warfen wir noch einen kurzen Blick auf die Signierstunde von Vanessa Mai. Insgesamt war dieser erste Tag sehr inspirierend und ich habe eine lange Liste an Büchern gesammelt, die ich in Zukunft noch lesen oder verschenken möchte.
Abends mussten wir dann auch feststellen, dass ein Besuch der Buchmesse anstrengender ist als zum Beispiel eine ganztägige Bergwanderung in alpinem Gelände, so dass wir nach einem kurzen Aufenthalt in der Hotelbar schon um ca. 21 Uhr völlig ermüdet im Hotelzimmer saßen.
Vor dem Samstag auf der Buchmesse habe mich meine Freundin schon „gewarnt“, durch die hohen Besucherzahlen ist die Messe an diesem Tag doch sehr überlaufen (leer war es am Freitag auch nicht grade, aber das Durchschlendern hat zumindest noch Spaß gemacht). Glücklicherweise hatten wir an diesem Tag ein „externes“ Messeprogramm, wir waren zu einer historischen Stadtführung durch die Frankfurter Altstadt mit der Autorin und Historikerin Julia Kröhn eingeladen, ganz unter dem Motto ihres Romans „Die Gedanken sind frei – Eine unerhörte Liebe“, der im Nachkriegs-Frankfurt spielt.
Julia Kröhn bei der literarischen Stadtführung
Julia Kröhn führte uns und eine bunte Mischung aus Blogger:innen und Leser:innen sehr kompetent, unterhaltsam, sympathisch und historisch fundiert an einige Originalschauplätze des Buches, gleichzeitig eine großartige Art und Weise die Stadt kennen zu lernen. Da ich zuletzt irgendwann 2006 oder 2007 beruflich kurz in Frankfurt war, kannte ich die neu gestaltete „Altstadt“ auch noch gar nicht und war von der Architektur sehr beeindruckt.
Licht und Schatten in Frankfurt
Zusätzlich hatten wir auch noch traumhaftes Sonnenwetter. Abgerundet wurde die Stadtführung durch ein gemeinsames Kaffee-Trinken und Kuchen-Essen mit Austausch zum Buch und zur Führung in einem Café am Frankfurter Dom. Nochmal einen herzlichen Dank an den Blanvalet-Verlag und Julia Kröhn für die tolle Gelegenheit.
Eine tolle Erinnerung an einen besonderen Tag
Danach kehrten wir noch einmal kurz zur Buchmesse zurück um etwas zu essen (und die beeindruckenden Kostüme der Cosplayer:innen zu bewundern).
Zum Abschluss hatten wir noch Gelegenheit im „Forum“ einen kurzen, aber sehr lehrreichen und eingängigen Talk mit Tupoka Ogette zu ihrem Anti-Rassismus Buch „Und jetzt Du – Antirassistisch leben“ zu hören, von dem sich jeder angesprochen fühlen sollte.
Talk mit Tupoka Ogette
Insgesamt eine tolle erste Buchmesse für mich, eine Erfahrung die ich auf jeden Fall in den nächsten Jahren wiederholen möchte!
Seit einigen Jahren habe ich es mir zur Tradition gemacht jedes Jahr eines oder mehrere Bücher zu lesen, die für den Deutschen Buchpreis nominiert wurden. Dieses Jahr habe ich mich aus dieser Liste als Erstes für „Wilderer“ von Reinhard Kaiser-Mühlecker entschieden, einen österreichischen Roman.
Im Mittelpunkt des Buches steht der junge Bauer Jakob. Er lebt auf dem Bauernhof seiner Familie, ist ein stoischer Typ, der wenig Gefühle zeigt und nicht gut mit Menschen kann, ein Eigenbrötler, der zudem verunsichert ist und ein geringes Selbstbewusstsein hat. Außerdem spielt er einmal im Jahr Russisch Roulette, warum erfährt der Leser zunächst nicht. Sein Vater ist ein Hallodri, der den Hof runtergewirtschaftet hat, die Oma wollte ihr Geld „der rechten Partei“ vermachen, anstatt Jakob damit eine Starthilfe für die Übernahme des Hofes zu geben, die sprunghafte Schwester Sophie geht Jakob auf den Keks und sein Bruder den er als Kind bewundert hat, ist inzwischen ein etwas übergewichtiger Städter. Während Jakob sich mit Hilfsarbeiten durchschlägt, verkommt der Hof immer mehr und Jakobs Geschäftsideen enden oft ähnlich erfolglos wie die seines Vaters. Jakobs Liebesleben besteht aus gelegentlichem Wischen auf Tinder und nicht mal seine Hunde hat Jakob im Griff.
Doch als Jakob Katja kennenlernt, eine junge Künstlerin, die aufgrund eines Stipendiums einige Zeit im Schulhaus wohnt, dass Jakob für die Gemeinde renovierte, scheint sich sein Schicksal zu wenden. Die beiden verlieben sich auf unspektakuläre Weise ineinander und Katja scheint überraschenderweise wie gemacht fürs Landleben und nimmt auch geschäftlich alles resolut in die Hand, während auch Jakob im Team mit ihr an Selbstbewusstsein gewinnt. Und plötzlich läuft alles glatt mit dem Hof. Obwohl Jakob bleibt wie er immer war, gefühlskalt, unempathisch, verstockt, rückwärtsgewandt und immer etwas misogyn scheint Katja ihn trotzdem zu lieben. Doch richtig sicher ist sich Jakob der Sache nie und auch seine dunkle Seite kann er nicht dauerhaft kontrollieren.
Der Schreibstil des Romans ist klar und präzise, ohne große Schnörkel und ohne große Gefühle, denn man liest die ganze Geschichte aus Sicht von Jakob und außer Wut und Hass, die unter der Oberfläche schwelen, zeigt dieser selten Gefühle und wenn dann auf eine sehr unbeholfene Weise. Das könnte ein sehr deprimierender Roman werden, doch trotzdem schafft es der Autor, das man irgendwie mit Jakob mitfiebert, trotz des latent bedrohlichen Untertons der Geschichte und Jakobs eher unzugänglichem Charakter. Für mich ein sehr authentischer Roman, mit glaubwürdigen Charakteren, der mich absolut überzeugt hat und der die Nominierung für den Deutschen Buchpreis auf jeden Fall verdient hat.
Ich bin ein großer Fan von Biografien und Autobiografien und habe auch schon gute Erfahrungen mit veröffentlichen Briefen von historischen Persönlichkeiten gemacht. Deswegen fiel mir das Buch „Liebe Sophie – Liebe Valborg“ von Selma Lagerlöf sofort ins Auge. Selma Lagerlöf ist den meisten Menschen in Deutschland vermutlich vor allem durch Nils Holgersson bekannt, außerdem war sie die erste Frau, die den Literaturnobelpreis verliehen bekam.
Dieses Buch befasst sich nun mit einer eher privaten Seite von Selma Lagerlöf, nämlich mit ihrer romantischen Beziehung zu gleich zwei Frauen gleichzeitig, die ihr Leben über Jahrzehnte begleiteten. Sophie Elkan war eine Schriftstellerkollegin von Lagerlöf, mit der sie sich intensiv über die jeweiligen Werke austauschte. Valborg Olander half Selma Lagerlöf bei der Abschrift ihrer Werke und mit ihrer Korrespondenz. Mit beiden Frauen führte Selma Lagerlöf einen ausführlichen Briefwechsel, der Jahrzehnte überdauerte und sehr intim war. Im Buch abgedruckt sind lediglich Briefe von Selma Lagerlöf, nicht die Antworten ihrer Freundinnen. Zu jedem Brief gibt es immer einen kleinen erklärenden Text zu Hintergründen oder zum Kontext.
Einerseits ist es sehr unterhaltsam zu lesen, wie Selma Lagerlöf versucht mit den Bedürfnissen ihrer beiden sehr unterschiedlichen Freundinnen zu jonglieren und versucht vor allem die Eifersucht von Sophie Elkan auf Valborg Olander zu beschwichtigen (auch wenn dieser Charakterzug von Selma Lagerlöf nicht unbedingt immer 100% sympathisch rüberkommt, so doch immerhin sehr menschlich). Andererseits erfährt man ebenfalls sehr viel über die Alltagssorgen der Menschen Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts (zugebenermaßen den Alltagssorgen eher privilegierter Menschen), die politischen Ereignisse und die Arbeit an den Büchern der Schriftstellerin. Mir hat das Buch wirklich hervorragend gefallen und ich würde es jedem empfehlen, der Interesse an Selma Lagerlöf hat, mehr über sie lernen möchte oder der Spaß an historischen Briefwechseln hat. Bei mir hat das Buch sehr viel Lust darauf geweckt mehr über und von Selma Lagerlöf zu lesen.
„Teen couple have fun outdoors“ von Aravind Jayan ist mir direkt wegen des Titels und dem auffälligen Cover ins Auge gesprungen. Da ich schon viele Bücher von indischen Autoren gelesen habe und die indische Kultur und deren Widersprüchlichkeiten sehr faszinierend finde, konnte ich an diesem Buch definitiv nicht einfach vorbeigehen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine typische indische Mittelstandsfamilie. Die Eltern haben sich hochgearbeitet und gerade ein neues Auto, einen Honda Civic gekauft. In einer indischen Vorortsiedlung ein super Weg einen guten Eindruck in der Nachbarschaft zu machen. Doch Sree, der älteste Sohn, Anfang 20, verhält sich komisch, möchte nicht aus seinem Zimmer kommen. Wenige Tage später ist klar warum, Sree und dessen Freundin Anita wurden in aller Öffentlichkeit bei sexuellen Handlungen gefilmt, das Video kursiert im Internet und für Srees Eltern bricht eine Welt zusammen.
Erzählt wird die Geschichte in der Ich-Perspektive aus Sicht von Srees 20-jährigem jüngerem Bruder. Dieser ist hin und hergerissen zwischen Verständnis für seine Eltern und seinem Bedürfnis loyal zu seinem Bruder zu sein. Nachdem der nach einem Streit mit dem Vater auszieht und zusammen mit Anita in einem heruntergekommenen Appartment eines Freundes unterkommt, versucht Srees Bruder zu vermitteln, doch sein eigenes Verhältnis zu seinem Bruder leidet immer mehr unter der Situation und als auch noch Anitas Eltern von dem Video erfahren eskaliert die Situation immer mehr.
Mir hat das Buch gut gefallen, die Widersprüche zwischen den teils sehr progressiven und westlich geprägten jungen Indern und alten Moralvorstellungen der Eltern sind gut herausgearbeitet und auch in Srees Bruder selbst scheinen sich diese Widersprüche einen ständigen Kampf zu liefern. Auf der emotionalen Ebene berührte mich das Buch allerdings nicht so stark wie vielleicht möglich gewesen wäre, was daran liegen darf, dass der Ich-Erzähler sehr nüchtern von den Ereignissen berichtet. Trotzdem ein sehr starkes Buch eines jungen indischen Autors.
„Frau Faust“ ist der Debut-Krimi der Kölner Journalistin Antje Zimmermann. Ich wurde vor allem durch den interessanten Titel darauf aufmerksam. Dieser ist auch durchaus Programm, denn die Kommissarin Katharina „Kata“ Sismann war neben ihrer Polizeikarriere erfolgreiche und fast unschlagbare Boxerin. Bis zu einem schicksalshaften Kampf, der ihrer Box-Karriere ein abruptes Ende setzte und sie auch im Polizeidienst mit „angeschlagenem“ Ruf zurückliess.
Auch das Milieu des Kriminalfalls ist spannend, eine bekannte und charismatische Krimiautorin wird ermordet. Gefunden wird sie von einer Teilnehmerin ihres renommierten Schreibkurses, die selbst von einer Karriere als Krimi-Autorin träumt.
Anfangs hat mir der Krimi trotz der etwas einfach plakativen Sprache gut gefallen. Das Setting in der Literatur-Szene ist sehr unterhaltsam gewählt und auch die Spannungen zwischen Bestseller-Autorin und ihrem von Konkurrenzdenken zerfressenen Schreibkurs sind durchaus mitreissend.
Zum Ende hin liess der Krimi für mich dann aber doch etwas nach und ich hatte den Eindruck die Autorin hat sich etwas verzettelt, die Auflösung hat mich nicht ganz überzeugt, ein Charakter der Amfang recht zentral ist, spielte letzendlich für das Buch überhaupt keine Rolle und die „düstere“ Hauptkommissarin war vielleicht doch etwas zu klischeehaft angelegt. Für mich wurde beim Lesen recht offensichtlich, dass es sich um ein Erstlingswerk handelt, dass vielleicht noch ein etwas sorgfältigeres und kritischeres Lektorat gebraucht hätte. Das Talent der Autorin ist aber trotzdem augenscheinlich und unterhaltsam war der Krimi trotzdem.
„Simón“ von Miqui Otero ist ein märchenhaft anmutender Roman aus Spanien. Im Zentrum steht der junge Simon, der quasi in der Bar seiner Familie in Barcelona aufwächst. Geführt wird diese gemeinsam von seinen Eltern und seinem Onkel und seiner Tante. Deswegen ist sein älterer Cousin Rico fast so etwas wie ein Bruder für ihn, cool und fast mystisch, den er bewundert und vergöttert. Ansonsten in der Schule nicht sehr beliebt, sondern als eher merkwürdig angesehen, hat Simon noch Estela, das exzentrische Nachbarsmädchen als Spielgefährtin und seine Bücher, die Rico im schenkte. Dazu viele schrullige Barbesucher, die seine Kindheit prägen. Diese erfährt aber einen drastischen Einschnitt, als sein Cousin Rico nach einer wilden Ausgehnacht zu der er Simon mitnahm einfach verschwindet. Ist er abgehauen, ist ihm etwas passiert, war jemand hinter ihm her? Und warum fragen ihn ständig Bekannte von Rico nach einem angeblichen Schatz? Die Familie redet nicht über Rico und Simon bleibt in Ungewissheit zurück, bis er eine Nachricht in einem Buch findet.
Es ist recht schwierig zu beschreiben, was „Simón“ für ein Buch ist. Einerseits hat es etwas märchenhaftes, was auch im Erzählstil widergespiegelt wird, andererseits ist es aber auch einfach eine Geschichte übers Erwachsenwerden, in der wir Simon über mehrere Jahrzehnte begleiten. Er träumt davon ein erfolgreicher Starkoch zu werden, reich und erfolgreich ´, lehnt seine Kindheit und Herkunft hat und vergisst auf einem kurzen Höhenflug fast seine alten Freunde…bis er unsanft auf dem Boden der Tatsache landet. Dazu ist der Roman aber auch ein Buch über Spanien, über Barcelona und über die Schwierigkeiten der jungen Generation dort zu „überleben“. Simon sucht seinen Cousin Rico und sich, der Leser wird auf diese Reise mitgenommen, in einem bunten und außergewöhnlichen Entwicklungsroman, der mir gut gefallen hat, auch wenn man sich auf eine etwas verspielte Sprache einlassen muss.
„I kissed Shara Wheeler“ ist ein Young Adult Hörbuch von Casey McQuiston, das eine humorvolle queere Liebesgeschichte erzählt und mir vor allem wegen des bunten Covers in Auge stach. Hauptperson des Buches ist Chloe, die mit ihren beiden Müttern im liberalen Kalifornien aufgewachsen ist, aber nach dem Tod der Großmutter zurück in den Heimatstaat ihrer einen Mutter zog, ausgerechnet ins stockkonservative Alabama. Dort eckt Chloe zwar oftmals (auch absichtlich) an, ist aufgrund ihres Ehrgeizes und ihrer herausragenden Noten aber trotzdem kurz davor die High School als Jahrgangsbeste abzuschließen. Zwischen ihr und dem Triumph steht nur Shara Wheeler, blond, intelligent, beliebt, wunderschön und Tochter des Schuldirektors. Mit ihr steht Chloe in leidenschaftlicher Konkurrenz. Nur wenige Wochen vor dem Schulabschluss passiert dann das Unfassbare: Shara küsst Chloe und verschwindet am nächsten Tag spurlos, hinterlässt aber merkwürdige Botschaften auf Notizzetteln. Zusammen mit Shara’s Freund und dem Nachbarsjungen Rory versucht Chloe widerwillig rauszufinden was für ein Spiel Shara spielt.
So weit die Story des Buches, das einige gute Ansätze hat, mich aber insgesamt leider nicht 100% überzeugt hat. Mein erstes Problem mit dem Buch ist, dass sich die Handlung doch ein bisschen sehr in Grenzen hält, Als Leser:in weiß man eigentlich nie so richtig warum Shara eigentlich verschwunden ist, warum Chloe sie überhaupt sucht und auch die Auflösung des ganzen bleibt irgendwie nicht besonders nachvollziehbar. Zweitens funktioniert das Buch als Liebesgeschichte finde ich nicht so richtig, denn eine Chemie zwischen Shara und Chloe kommt eigentlich nie so richtig auf. Das ist eigentlich auch nicht so richtig verwunderlich, ist Shara doch mehr als 70% des Buches (ich hab auf die Hörbuch Fortschrittsanzeige geschaut) verschwunden und wird nur aus Sicht von Chloe charakterisiert, die aber kein gutes Haar an ihr lässt (was vermutlich unterdrückte sexuelle Anziehung rüberbringen soll, es aber eher nicht tut).
Erst gegen Ende des Buches treffen Shara und Chloe tatsächlich wieder aufeinander, weswegen dieser Teil des Buches mir auch am Besten gefallen hat.
Die Sprecherin des Hörbuches las für meinen Geschmack auch etwas zu konfrontativ und hart, was Chloe vielleicht noch etwas kratzbürstiger rüberkommen liess als ihr Charakter angelegt war, eventuell hätte man mit einer etwas „weicheren“ Sprecherin ein anderes Bild von Chloe bekommen?
Das klingt jetzt alles sehr negativ, trotzdem hatte das Buch gute Ansätze und war unterhaltsam, Romantik kam für mich aber zu wenig auf.