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Krimi-Tipp: „Lavender House“ von Lev AC Rosen

Heute möchte ich einen sehr unterhaltsamen „cozy“ Mystery-Krimi vorstellen, nämlich den Roman „Lavender House“ von Lev AC Rosen. Die Handlung spielt in den 1950er Jahren: der schwule Polizist Andy wurde bei einer Razzia in einem Schwulenclub von seinen Kollegen entdeckt und hat seinen Job verloren. Gerade als er sich in einer Bar betrinkt und darüber nachdenkt sein Leben zu beenden wird er von einer mysteriösen Frau namens Pearl angesprochen, die ihn für einen Privatdetektiv-Job anheuern möchte. Offenbar weiß sie wer er ist und dass er genau der richtige für ihre heikle Situation ist. Denn Pearl lebt heimlich zusammen mit ihrer Frau Irene Lamontaine in einem mondänen Anwesen, natürlich ist sie offiziell nicht Irenes Ehefrau, sondern ihre Angestellte. 

Irenes Firma Lamontaine ist mit dem Verkauf von selbst gefertigten Duftseifen reich geworden, die Irene in liebevoller Kleinarbeit designt hat. Doch vor kurzer Zeit starb Irene in ihrer Bibliothek als sie an einer neuen Seifenrezeptur gearbeitet hat und Pearl vermutet, dass es Mord war. Doch natürlich kann sie nicht die Polizei rufen, denn die in dieser Zeit geächteten Familienverhältnisse sollen nicht ans Licht kommen (auch Irenes Sohn ist schwul und lebt mit seinem Freund zusammen, aber auch seine „Tarnungs“-Ehefrau und ihre Mutter leben im Haus, sowie mehrere Angestellte aus der queeren Undergrund-Szene).

Der Krimi hat gleich meinen Nerv getroffen, eine Mischung aus Knives Out meets Agatha Christie und das alles in einem queeren Umfeld sorgt für eine kreative und unterhaltsame Mischung. Nun ist es so, dass ich schon recht viele „Closed Room“-Krimis gelesen habe und viele sind überraschend schlecht. Viele Autor:innen scheinen mit dem Konzept etwas überfordert, so dass die Grundidee super ist, aber die Umsetzung nicht klappt, aber Lev AC Rosen gelingt es wirklich gut, auch wenn der Fokus des Romans nicht ausschließlich darauf lag einen Krimi zu schreiben (aber vielleicht ist das sogar der Schlüssel zum Erfolg, vielleicht konnte er weniger verkrampft an das Konzept dran gehen).

Andy ist ein sehr sympathischer Charakter, die Krimihandlung fand ich gelungen und das Setting ist ungewöhnlich aber trotzdem glaubwürdig und die damals offene Homophobie der Polizei und Gesellschaft ist hervorragend dargestellt, ohne dass der Roman seinen Optimismus und seine Leichtigkeit verliert. 

Auf Englisch sind schon weitere Teile der Reihe erschienen, nach denen ich auf jeden Fall Ausschau halten werde. 

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Buch-Tipp: „Hundesohn“ von Ozan Zakariya Keskinkılıç

„Hundesohn“ von Ozan Zakariya Keskinkılıç ist ein Roman der es schafft gleichzeitig sehr poetisch und sehr derb und direkt zu sein, somit schon sprachlich ein wirklich einmaliges Buch. Der Ich-Erzähler Zakariya lebt in Berlin, verbringt zu viel Zeit auf Grindr und hat One-Night-Stands mit allen möglichen Männern, während er sich nach Hassan verzehrt, einem Jugendfreund aus der Türkei, mit dem ihn eine nicht näher definierte toxische Beziehung verbindet und nach dem er sich jederzeit sehnt, bis er ihn im Sommer für wenige Wochen wiedersieht. 

Die Sprache des Buches ist sicher einmalig, eine Mischung aus Lyrik und Erzählung mit vielen Einsprengungen auf türkisch und arabisch (die man aber aus dem Kontext immer verstehen kann) und die die Zerrissenheit des Ich-Erzählers zwischen Glauben und Sexualität, Türkei und Deutschland, der Suche nach der eigenen Heimat und Zugehörigkeit ausdrückt. Sicherlich wird man das Buch nochmal ganz anders fühlen, wenn man selbst mit muslimischen Migrationshintergrund in Deutschland (und der Türkei) aufwächst, aber auch ohne die eigene Erfahrung entwickelt das Buch viel Wucht. Ich empfehle es für jeden der auch sprachlich etwas ungewöhnliche und lyrische Bücher mag.

Werbung: das Buch wurde mir von Vorablesen kosten- und bedingungslos zur Verfügung gestellt. Es erscheint erst im September 2025.

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Jugendbuch-Tipp: „All better now“ von Neal Shusterman

Der Roman „All better now“ von Neal Shusterman fällt durch sein sehr auffälliges Cover ins Auge, das mir allerdings rein optisch nicht so gut gefällt, so dass mir das Buch vermutlich in einer Buchhandlung erstmal nicht positiv aufgefallen wäre. Abschrecken lassen sollte man sich davon aber definitiv nicht, denn das Jugendbuch dahinter lohnt sich wirklich, auch für Erwachsene.

Im Buch ist relativ kurze Zeit nach Corona schon wieder eine Pandemie ausgebrochen, das Virus heißt passend dazu Crown Royale, hat aber deutlich dramatischere Auswirkungen als Covid…wer nicht daran stirbt ist hinterher deutlich wesensverändert, denn Menschen die das Virus überlebt haben sind hinterher zufrieden und selbstlos und verlieren das Interesse an Geld, Konsum und Macht. Der absolute Alptraum für Staatschefs, Milliardäre, CEOS und Kapitalisten aller Art also.

Am Anfang des Buches steht die Pandemie noch recht am Anfang und die Leser:innen lernen verschiedene Menschen kennen: Mariel, die mit ihrer Mutter obdachlos im Auto lebt und versucht über die Runden zu kommen, der Milliardärssohn Rón, der von Depressionen geplant wird und Morgan, eine skrupellose junge Frau, die unverhofft an sehr viel Geld und Macht gerät. Im Verlaufe des Buches treffen diese Menschen alle aufeinander und versuchen den Lauf der Welt zu verändern, jeder nach seiner Vorstellung.

Im Aufwerfen der Frage was denn in dieser durch das Virus aus der Bahn geworfenen Welt das moralisch und ethisch „Richtige“ ist, liegt meiner Meinung nach die absolute Stärke des Buches denn es ist einerseits sehr unterhaltsam und mitreißend geschrieben, regt aber auch zum Denken an, denn es ist (immer wieder) sehr schwierig zu entscheiden, wem man in dieser Geschichte seine Sympathien schenken soll.

Zu beachten ist, dass es sich bei dem Buch um den ersten Teil einer Dilogie handelt und der zweite Teil soll wohl frühestens 2026 erscheinen. Allerdings fand ich den ersten Teil so in sich abgeschlossen, dass man ihn auch gut eigenständig lesen kann, ohne sich zu sehr über einen Cliffhanger am Ende zu ärgern. 

Mir hat das Buch hervorragend unterhalten und ich werde auf jeden Fall auch den zweiten Teil lesen.

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Buch-Tipp-Mix Sommer 2025: Stephen King und Young Adult Dystopie

Heute möchte ich zwei Bücher vorstellen, die ich im Juli gelesen habe. Nummer 1 ist ein Geschichtsband von meinem absoluten Lieblingsautor (seit meiner Kindheit), nämlich:

„Ihr wollt es dunkler“ von Stephen King

„Ihr wollt es dunkler“ ist ein typischer Geschichtsband von Stephen King, mit verschiedenen Kurzgeschichten, die von wirklich sehr kurz (wenige Seiten) bis hin zu zwei längeren Geschichten von um die 150 Seiten reichen. Dem Nachwort ist zu entnehmen, dass die Entwürfe von einigen Geschichten schon Jahrzehnte alt sind und Stephen King die jetzt erst beendet hat. Mir wäre das ohne die Erklärung nicht aufgefallen, auch wenn Stephen Kings neuere Romane nicht mehr so horrorlastig sind wie am Anfang seiner Karriere (wobei er ja auch schon damals Geschichten ohne Horror-Elemente verfasst hat), ist er seinem Stil immer so treu geblieben, dass die Geschichten für mich überhaupt nicht den Eindruck machen entweder altmodisch oder neumodisch zu sein. Der Geschichtsband ist wie aus einem Guß und mich haben alle Stories hervorragend unterhalten. Ein echtes Lesevergnügen, mit Geschichten die auch oft zum Nachdenken anregen.

Zusätzlich zu diesem Buch eines sehr erfahrenen Autors habe ich gelesen:

„The Last Bookstore on Earth“ von Lily Braun-Arnold

„The Last Bookstore on Earth“ ist eine Young Adult Dystopie von der jungen Autorin Lily Braun-Arnold. In dem Debütroman steht die jugendliche Liz, die seit einem – am Anfang noch nicht näher erklärten – dystopischen „Sturm“ alleine in einem Buchladen lebt, bei dem sie vor der Katastrophe gearbeitet hat. Was mit ihrer Familie passiert ist, weiß man anfangs noch nichts, doch Liz hat es geschafft sich einigermaßen komfortabel in dem zwar teilweise beschädigten, aber noch einigermaßen benutzbaren Gebäude einzurichten. Übers Wasser hält sie sich mit Tauschhandel mit den noch wenigen verbliebenden anderen Stadt-Bewohnern, die gelegentlich vorbeiziehen. Veränderungen mag sie nicht und Gefahren der Zukunft versucht sie zu verdrängen. Als eines Tages eine andere junge Frau namens Maeve auf der Suche nach Unterkunft bei ihr einbricht und ab diesem Zeitpunkt mit ihr zusammen in der Buchhandlung lebt wird ihre Routine unterbrochen und Liz muss ihre Komfortzone verlassen. Aber auch wenn ihr Maeve anfangs auch noch sehr unsympathisch ist, fängt sie mit der Zeit auch an Gefühle für sie zu entwickeln…

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, der Schreibstil ist für eine 19-jährige Autorin wirklich toll und mitreissend und man wird sofort in die Story reingezogen. Die Schwachpunkte waren für mich, dass die romantischen Aspekte der Story für so einen Young Adult Format etwas sehr subtil und zwischen den Zeilen erfolgte, was auch die Charakterentwicklung von Liz und Maeve etwas minderte. Dafür gibt es im Verhältnis relativ viel Gewalt, das hätte ich mir etwas ausgewogener gewünscht. Außerdem sind einige (medizinische oder physikalische) Teile der Story nicht besonders realistisch, das würde ich bei dem sehr jungen Alter der Autorin und der Tatsache dass es sich um ein Young Adult Buch handelt aber nicht als so dramatisch bewerten.

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Buch-Tipp: „Kankos Reise“ von Rin Usami

„Kankos Reise“ ist das zweite Buch, das ich von der jungen und sehr talentierten japanischen Autorin Rin Usami lese. Ihr erstes Buch „Idol in Flammen“ hat mir schon hervorragend gefallen.

Wie auch in „Idol in Flammen“ steht in „Kankos Reise“ eine jugendliche Japanerin im Mittelpunkt. Seit eigener Zeit „funktioniert“ Kanko nicht mehr, ihr Körper macht nicht mehr mit, sie leidet an Depressionen, schafft es oft nicht in die Schule oder schläft dort im Unterricht ein. Ursache dürften ihre schwierigen Familienverhältnisse sein. Erfährt man am Anfang nur, dass Kankos Mutter nach einem Schlaganfall noch nicht wieder ganz ins Leben zurückgefunden hat, wird schnell klar, dass die Probleme in der Familie viel tiefer liegen. Kankos älterer Bruder ist ausgezogen und hat sich von der Familie distanziert und auch ihr kleiner Bruder ist nach einem Schulwechsel zu den Großeltern gezogen. Als die andere Großmutter – die Mutter von Kankos Vater – stirbt, trifft sich zum ersten Mal seit langem die ganze Familie auf der Beerdigung wieder. Schon auf der Reise dorthin brechen alte und neue Konflikte aus und das ganze Ausmaß der dysfunktionalen Familie – Gewalt, Streit, Herabwürdigung und schulischer Druck – kommt ans Licht.

Das Buch ist sicherlich keine leichte Kost, trotzdem hab ich es innerhalb von 2 Tagen verschlungen, so einen Sog hat es auf mich entwickelt. Das Geschehen in der Familie und Kankos Zerrissenheit, die ihre Familie trotzdem liebt und nicht wie ihre Brüder einfach aufgeben will, wird eindringlich geschildert. Die Sprache ist schlicht und sehr direkt, um so eindringlicher erleben die Leser:innen aber vielleicht gerade deswegen die Gefühlswelt der Familie, die durch vererbte Traumata nachhaltig geschädigt ist.

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Buch-Tipp: „Standing Ovations“ von Charlotte Runcie

Das Buch „Standing Ovations“ von Charlotte Runcie mit einer Sternebewertung zu versehen entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn genau darum geht es unter anderem in dem Roman: Die eher noch am Anfang ihrer Karriere stehende Journalistin und Kritikerin Sophie befindet sich mit ihrem scharfzüngigen und bekannten Kritikerkollegen Alex Lyons (Sohn einer bekannten Charakterdarstellerin) auf dem Fringe Festival in Edinburgh. Dort versieht Alex das Comedyprogramm der aufstrebenden Comedienne Hayley Sinclair mit einer seiner berüchtigten 1-Sterne Bewertungen, doch nicht nur das, er geht in der Nacht nach ihrem Auftritt auch noch mit ihr ins Bett ohne ihr davon zu erzählen. Erst am nächsten Morgen erfährt sie durch Zufall davon. Und reagiert anders als erwartet: sie greift die Ereignisse auf und wandelt sie kurzerhand in ein neues Comedyprogramm (eher ein Happening) namens „Die Sache mit Alex Lyons“  um, das einschlägt wie eine Bombe und eine ganze Schar an Frauen hervorruft, die von ihren eigenen schlechten Erfahrungen mit Alex (und anderen Männern wie ihm) berichten. 

Wie sich die nächsten Wochen entwickelt erfährt man als Leser:in aber nicht durch die Sicht von Hailey oder Alex, sondern immer aus Sicht von Sophie, die das Ganze zum Anlass nimmt, ihre eigene Beziehung zu Alex, aber auch zu ihrem Beruf und ihrem eigenen Privatleben zu hinterfragen.

Mir hat das Buch gut gefallen, es ist durchgehend unterhaltsam, amüsant und relevant, das Einzige was mich von einer 5-Sterne Bewertung abhält (ich würde 4 Sterne geben) ist tatsächlich die Frage, ob Sophie als Mittelpunkt der Geschichte wirklich die stärkste Variante war das Thema zu bearbeiten. Sophie ist ein glaubwürdiger Charakter und jemand mit der man sich auf jeden Fall identifizieren kann, aber durch die Erzählweise erfährt man natürlich nicht so viel über das Innenleben von Hayley (was suboptimal ist) und Alex wird tendenziell durch Sophie eher romantisiert (was im Kontext der Geschichte etwas fragwürdig ist). Insgesamt aber ein sehr kluges Buch mit einem perfekten Setting: wo sonst könnte man ein Buch über die Kulturbranche stattfinden lassen als während des Fringe Festivals in Edinburgh.

Bücher, gesellschaft

Buch Tipp: „Paper Doll“ von Dylan Mulvaney

„Paper Doll: Notes from a Late Bloomer“ ist teils Autobiographie teils „Tagebuch“ von der transsexuellen Influencerin Dylan Mulvaney, die während Corona zuerst auf Social Media einen steilen Aufstieg mit Comedy-Clips und Videos über ihre Transition hinlegte, nur um dann vom rechts-religiösen America einen starken Shitstorm/Backlash zu erledigen, weil die Biermarke Bud Light (wohl aus rechtlichen Gründen im Buch nur als GenericBeerBrand bezeichnet) einen Werbespot mit ihr drehte (warum nicht jeder unabhängig vom Geschlecht Light-Bier trinken oder bewerben kann und sollte erschließt sich dem vernunftbegabten Menschen wohl eher nicht, aber wir leben ja aktuell leider nicht in vernunftbegabten Zeiten, ganz im Gegenteil).

In dem Buch, das äußerlich sehr leicht und humorvoll aufgemacht ist, geht es also nicht nur um schöne Anekdoten und eine heile Showbiz-Welt, sondern auch um mentale Gesundheit, den Wahnsinn von Social Media, aber natürlich auch um Dylans persönliche Erfahrungen mit ihrer Transition und ihren Werdegang im Musical und Showbiz und als Influencerin und ich kann sagen, dass das Buch meine Erwartungen mehr als erfüllt hat, so fand ich es wirklich sehr bewegend, unterhaltsam und lehrreich. 

Das Format wechselt dabei zwischen Tagebucheinträgen aus den ersten 365 Tagen ihrer Transition und tiefgehenderen Kapiteln über verschiedene Themen und Erfahrungen, die Abschnitte unterscheiden sich auch durch verschiedene Schriftarten. Mir hat das wirklich sehr gut gefallen, da das Buch dadurch für mich die perfekte Mischung aus leichter Unterhaltung und ernsteren Kapiteln trifft. Ein tolles Buch für jeden der gerne mehr über andere Menschen lernt, Humor, Herzlichkeit und Musicals mag und in der aktuellen politischen Lage nicht vergessen möchte, dass es in den USA auch Millionen von wirklich tollen und liebenswerten Menschen gibt.

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Buch-Tipp: „Hundert Wörter für Schnee“ von Franzobel

„Hundert Wörter für Schnee“ von dem österreichischen Schriftsteller Franzobel ist bereits der dritte historische Roman den ich vom ihm lese, nach „Dass Floss der Medusa“ und „Die Eroberung Amerikas“. Ich bin ein großer Fan des Autors, denn es gelingt ihm immer wieder Romane zu schreiben, die auf realen geschichtlichen Ereignissen beruhen, hervorragend recherchiert sind und mit viel Wortwitz und einem unnachahmlichem Stil die Vergangenheit lebendig machen und gleichzeitig über Missstände in der damaligen Gesellschaft (meist die gleichen wie heute) aufklären.

Thematisch ist das Thema von „Hundert Wörter für Schnee“ auch in 2025 absolut hochaktuell, den es geht um die Ausbeutung von Grönländischen Ureinwohner:Innen durch amerikanische Entdecker und andere westliche Player, ein Thema das spätestens seit Trump gar keinen aktuelleren Bezug haben könnte. Im Fokus stehen dabei natürlich auch wieder reale Figuren: Der amerikanische Entdecker Robert Peary ist besessen davon als Erster den Nordpol zu erobern, seine Frau Josephine Peary unterstützte und begleitete ihn und war die erste weiße Frau, die in der Arktis überwinterte (die Treue ihres Ehemanns war ihr trotzdem nicht sicher, denn der gründete parallel eine zweite Familie mit einer Inuit-Frau). Pearys Rivale Frederic Cook behauptet wie Peary als erster Mann am Nordpol gewesen zu sein und der schwarze Matthew Henson ist als Begleitung von Peary zwar mindestens so weit gekommen wie die beiden anderen, wird aber natürlich in er geschichtlichen Berichterstattung im Vergleich weitgehend übersehen. Die eigentliche Hauptperson des Buches ist aber Minik Wallace, ein Inuit, der zusammen mit 5 weiteren erwachsenen Verwandten von Robert Peary im Kindesalter in die USA verschleppt wird, quasi als „Anschauungs- und Forschungsmaterial“. So menschenverachtend wie das klingt, gestaltete sich das Ganze auch und 4 der 6 Inuit starben in den nächsten Jahren zudem an Tuberkulose. Minik überlebte und blieb bis zu seinem (ebenso recht frühen) Tod ein Mensch auf der Suche nach seiner Identität, in Amerika wurde er nie richtig heimisch, zurück in Grönland aber auch nicht mehr.

Der Roman hat mir wieder sehr gut gefallen, zeigt er doch einerseits die Auswirkungen des aus westlicher Sicht häufig romantisierten Kolonialismus, gleichzeitig werden aber auch die Charaktere und ihre im Nachhinein tragischen Obsessionen lebendig und auch der Humor kommt bei Franzobel nie zu kurz. Für mich wieder ein sehr unterhaltsamer historischer Roman, den ich auch Leser:innen empfehlen, die sich sonst nicht so für historische Romane begeistern, denn ich bin eigentlich auch kein großer Fan dieses Genres, aber die Romane von Franzobel haben mich bisher immer absolut abgeholt. Dieser Roman hat es bei mir auch geschafft, noch weiter zu Minik Wallace, Matthew Henson, Josephine und Robert Peary und Frederic Cook zu recherchieren, denn im typischen westdeutschen Geschichtserlebnis meiner Kindheit, bekam der Wettlauf um den Südpol immer viel mehr (ebenfalls romantisierte) Aufmerksamkeit als die Arktiserforschung.

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Buch-Tipp: „Die Schrecken der anderen“ von Martina Clavadetscher

Der Schweizer Roman „Die Schrecken der anderen“ von Martina Clavadetscher erzählt in sehr ruhigem und poetischen Ton eine Geschichte voller Düsternis und Schrecken.

Dabei fängt alles mit verstreuten Protagonist:innen und Handlungsfäden an: ein Archivar mit Angststörung begutachtet eine Leiche in einem gefrorenen See, eine mysteriöse ältere Frau in einem Wohnwagen beobachtet ihn dabei. Ein reicher alter Mann hat nicht nur Probleme mit den Augen und eine junge unglückliche Frau, sondern auch noch seine bösartige greise Mutter im Dachgeschoss. Wie alle diese Menschen und ihre Geschichten und Handlungen zusammen hängen erschließt sich erst im Laufe des Romans Scheibchen für Scheibchen, wobei die Autorin es hinbekommt, dass man als Leser:in eigentlich durchgehend die richtige Ahnung entwickelt, auch wenn es einem beim Lesen selbst gar nicht bewusst ist, wie genau dies zustande kommt. 

Einziger Schwachpunkt für mich ist, dass der Schreibstil doch in Teilen etwas sperrig ist, was es doch ein kleines bisschen schwierig macht ins Buch hineinzukommen. Ausgeglichen wird dies mit einigen Passagen in denen durch einzelne Charaktere Episoden aus der Vergangenheit sehr klar kommuniziert werden und was ein bisschen wie ein Stilbruch auf mich wirkte. Wenn man diese Punkte überwindet wird man aber durch die Bildsprache ins Geschehen gezogen und mit einem durchaus fulminanten und schlüssigen Ende belohnt. Der Highlight des Buches waren für mich einige Passagen, die so zielsicher treffend die heutige gesellschaftliche Lage beschreiben, dass ich inne halten musste um darüber nachzudenken. Insgesamt kein zu 100% einfaches Buch, aber eines das sich absolut lohnt. 

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Buch-Tipp: „Killer Potential“ von Hannah Deitch

„Killer Potential“ ist der Debütroman von Hannah Deitch und als Thriller einkategorisiert. Ein klassischer Hochspannungs-Thriller ist das Buch allerdings für mich nicht, Cover, Klappentext und Atmosphäre weckten in mir sofort Assoziationen zu Bonnie & Clyde oder Thelma & Louise:

Die SAT-Tutorin (Nachhilfelehrerin für die amerikanische Abschlussprüfung) Evie verdient ihr Geld damit den Sprösslingen reicher Familien in Los Angeles in deren Luxus-Zuhause Nachhilfe zu geben. Doch an einem Tag geht alles schief: als Evie am Haus ihrer Schülerin ankommt, entdeckt sie deren Eltern ermordet im Pool und als wäre das nicht genug auch noch eine gefesselte Frau in einer Kammer. Durch eine Verquickung unglücklicher Umstände geraten Evie und die Fremde unter Verdacht und fliehen vom Tatort. Es folgt ein Roadtrip durch die ganze USA mit unerwarteten Folgen, während dessen sich Evie und die geheimnisvolle Fremde immer näher kommen.

Die Idee des Buches fand ich wirklich super und auch die Erzählweise ist kreativ und mal was anderes für einen Thriller. Evie erzählt die Geschichte in der Ich-Perspektive und man erfährt viel über ihre Gedankenwelt und Gefühle. Insgesamt handelt es sich um eine verspielten und durchaus außergewöhnlichen Roman. Trotzdem hat er mich nicht 100% überzeugt, denn im Mittelteil gab es doch einige Längen, in denen nicht wirklich viel tatsächlich passiert. Der zweite Schwachpunkt ist meiner Meinung nach, dass der Verlauf der Flucht nicht wirklich unbedingt sehr glaubwürdig ist, ich kann mir nicht so recht vorstellen, dass die beiden Flüchtenden im realen Leben nicht relativ schnell gefasst worden wären. 

Allerdings nahm das Buch im letzten Drittel für mich wieder deutlich an Fahrt auf und wenn man die Skepsis im Bezug auf den Plot etwas ausblendet kann man mit dem Roman trotzdem sehr gut unterhalten werden. Auf jeden Fall ein beachtliches Debut, die Schwächen kann die Autorin in weiteren Büchern dann hoffentlich auch noch beheben.