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Buch-Tipp: „Schattengrünes Tal“ von Kristina Hauff

„Schattengrünes Tal“ von Kristina Hauff habe ich wegen des Settings der Geschichte auf meine Leseliste gepackt: denn da ich am Rande des Nordschwarzwalds wohne unternehme ich natürlich öfters Ausflüge in den Schwarzwald und was einem dort (zumindest in manchen Gegenden) oft begegnet sind Hotels in mehr oder weniger verstaubten Zustand (oder gleich ganz zu in Form von Lost Places). Genau so ein Hotel ist der Schauplatz in „Schattengrünes Tal“. Lisa wohnt mit ihrem Mann Simon in der Nähe eines malerischen Ortes im Schwarzwald. Während ihr Mann Forstwirt ist, arbeitet Lisa im Tourismusbüro und hilft zusätzlich immer noch in dem in die Jahre gekommenen Hotel ihrer Eltern aus, das inzwischen von ihrem zunehmend tattrigen Vater und dessen mehr oder weniger offiziellen Geliebten Margret geführt wird, Lisas Mutter lebt nach einem Schlaganfall im Pflegeheim. Zu dieser schwierigen Familiendynamik kommen schwelende Eheprobleme. 

Im Hotel gibt es nicht viele Gäste, doch dann taucht Daniela dort auf, eine verzweifelt wirkende Frau, die ihrem alten Leben entfliehen will. Da Lisa ein Helfersyndrom hat nimmt sie sich der Fremden an und merkt erst mit der Zeit wie ihr die Kontrolle über ihr Leben verloren geht.

Mir hat das Setting und auch die Idee der Geschichte wirklich hervorragend gefallen. Die Umsetzung konnte damit dann leider nicht ganz mithalten, das Buch ist sehr direkt und leicht geschrieben, allerdings fand ich die Charaktere im Buch teilweise etwas klischeehaft gezeichnet (vor allem Daniela, die die einzige bleibt aus deren Sicht das Buch nie erzählt wird, so dass man nichts über ihr Innenleben erfährt). So hat mich das Buch gut unterhalten und die zentralen Themen (wie die Aufarbeitung von familiären Konflikten) sind wirklich interessant, aber das letzte bisschen Tiefgang im Bezug auf die Entwicklung der Protagonisten hat für mich gefehlt.

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Buch-Tipp: „Kankos Reise“ von Rin Usami

„Kankos Reise“ ist das zweite Buch, das ich von der jungen und sehr talentierten japanischen Autorin Rin Usami lese. Ihr erstes Buch „Idol in Flammen“ hat mir schon hervorragend gefallen.

Wie auch in „Idol in Flammen“ steht in „Kankos Reise“ eine jugendliche Japanerin im Mittelpunkt. Seit eigener Zeit „funktioniert“ Kanko nicht mehr, ihr Körper macht nicht mehr mit, sie leidet an Depressionen, schafft es oft nicht in die Schule oder schläft dort im Unterricht ein. Ursache dürften ihre schwierigen Familienverhältnisse sein. Erfährt man am Anfang nur, dass Kankos Mutter nach einem Schlaganfall noch nicht wieder ganz ins Leben zurückgefunden hat, wird schnell klar, dass die Probleme in der Familie viel tiefer liegen. Kankos älterer Bruder ist ausgezogen und hat sich von der Familie distanziert und auch ihr kleiner Bruder ist nach einem Schulwechsel zu den Großeltern gezogen. Als die andere Großmutter – die Mutter von Kankos Vater – stirbt, trifft sich zum ersten Mal seit langem die ganze Familie auf der Beerdigung wieder. Schon auf der Reise dorthin brechen alte und neue Konflikte aus und das ganze Ausmaß der dysfunktionalen Familie – Gewalt, Streit, Herabwürdigung und schulischer Druck – kommt ans Licht.

Das Buch ist sicherlich keine leichte Kost, trotzdem hab ich es innerhalb von 2 Tagen verschlungen, so einen Sog hat es auf mich entwickelt. Das Geschehen in der Familie und Kankos Zerrissenheit, die ihre Familie trotzdem liebt und nicht wie ihre Brüder einfach aufgeben will, wird eindringlich geschildert. Die Sprache ist schlicht und sehr direkt, um so eindringlicher erleben die Leser:innen aber vielleicht gerade deswegen die Gefühlswelt der Familie, die durch vererbte Traumata nachhaltig geschädigt ist.

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Buch-Tipp: „Kleine Monster“ von Jessica Lind

„Kleine Monster“ von Jessica Lind ist ein weiterer Roman, der es auf die Nominierungsliste für den Österreichischen Buchpreis geschafft hat. Und ich kann gleich am Anfang sagen, dass der Roman eines meiner absoluten Lese-Highlights des Jahres 2024 geworden ist.

Im Mittelpunkt steht eine kleine Familie, Pia und Jakob mit ihrem Sohn Luca. Luca ist ein eher verschlossener und sensibler kleiner Junge im Grundschuldalter, dem plötzlich etwas für seine Mutter absolut Schockierendes vorgeworfen wird: er soll sich vor einer Schulkameradin entblösst haben. Obwohl die Angelegenheit in der Schule ohne größere Nachwirkungen aufgelöst wird, wirft sie Pia zurück in ihre eigene Kindheit und ihre komplizierte Familien-Konstellation. Sie lebte mit ihren Eltern, der Adoptivschwester Romi und der kleinen Schwester Linda relativ sorgenfrei zusammen bis die Familie durch eine Tragödie erschüttert wurde, die Pia nie richtig verarbeitet hat. Während Pia versucht aus Luca rauszubekommen, was in der Schule passiert ist, kann sie sich nicht von den Gedanken an die Vergangenheit befreien und verstrickt sich immer mehr in ihrer Gedankenwelt.

„Kleine Monster“ hat ein sehr schweres Thema, gleichzeitig aber eine sehr direkte und zugängliche Sprache, die es schafft, dass man sich sofort emotional mit den Charakteren verbunden fühlt und mit ihnen mitfühlen kann, selbst wenn ihre Handlung nicht immer wirklich verständlich sind. Gleichzeitig scheint das Buch auf einen dramatischen Höhepunkt zu zu steuern, ob es diesen gibt, möchte ich an dieser Stelle offen lassen. Jedenfalls hat mich das Buch in jeder Hinsicht überzeugt und meine Erwartungen sogar noch übertroffen, von mir also eine absolute Lese-Empfehlung. 

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Buch-Tipp: „Nostalgia“ von André Kubiczek

“Nostalgia” von André Kubiczek ist eines der Bücher das es auf die Nominierungsliste für den Deutschen Buchpreis 2024 geschafft hat. Mich hat es angesprochen, da ich sehr gerne Coming-Of-Age Geschichten und Kindheitserinnerungen lese. Dass das Buch autobiografisch ist, habe ich tatsächlich erst im Nachhinein beim Lesen der Widmung realisiert.
Der junge André wächst mit seiner laotischen Mutter, seinem Vater und dem behinderten Bruder Aleng Anfang der 80er Jahre in der DDR auf. Er möchte eigentlich ungern auffallen, doch natürlich ist das als Halb-Asiate in der DDR gar nicht so einfach. Seine Mutter lernte seinen Vater beim Studium in Moskau kennen und entschloss sich mit ihrer Familie in Laos zu brechen, um von nun an in der DDR ein Leben in der Fremde zu führen. Eine Entscheidung, mit der sie durchaus auch haderte, was in dem Roman mit der Zeit auch zum Thema wird. Abgesehen von ganz normalen Kindheitsproblemen rund um Schule, Freundschaft und Erwachsen werden merkt man als Leser:in schnell, dass André auch noch durch eine andere Sorge belastet wird, auch diese wird im Buch später noch viel Raum einnehmen.

Mich hat das Buch sehr berührt, denn der Ton ist einerseits humorvoll und kindlich charmant (ohne, dass es aufgesetzt wirkt), aber trotzdem bleibt die ganze Zeit ein ernster Unterton. Während das Aufwachsen eines Kindes mit Migrationshintergrund in der DDR natürlich eine Facette des Romans ist, liegt die Hauptstärke aber für mich auf jeden Fall in der Familiengeschichte, die absolut stark und persönlich erzählt wird. Gut gefallen hat mir auch, dass während am Anfang des Buches die Bedürfnisse und Erfahrungen von André im Mittelpunkt stehen, im letzten Drittel die Perspektive des Buches aber geändert wird und die Leser:innen mehr über Andrés Mutter und ihre Vergangenheit erfahren und darüber wie sie überhaupt in der DDR gelandet ist, in diesem Leben an der Seite eines Deutschen Mannes in einem Land, das sich sehr stark von Laos unterscheidet. Ein sehr schöner warmherziger und melancholischer autobiografischer Roman.

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Buch-Tipp: „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher

„Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher ist das zweite Buch, das ich dieses Jahr aus den Nominierungen für den Deutschen Buchpreis ausgewählt habe. Das Buch ist ein autobiografisch geprägter Roman über die Mutter der Autorin bzw. über die toxische Beziehung zwischen ihren Eltern. Der Roman spielt Anfang und Mitte der 80er Jahre, als die junge Ela ca. 5 – 8 Jahre alt ist. Die Familie ist auf Wunsch des Vaters zurück in sein Heimatdorf gezogen und die Familie wohnt zusammen mit seinen Eltern in einem Haus. Der Vater arbeitet „quasi“ als Ingenieur in einer Firma (er stammt aus einer Bauernfamilie und hat sich aus einer Ausbildung als technischer Zeichner hochgearbeitet), fühlt sich aber dort nicht ausreichend wertgeschätzt und die erhoffte Beförderung bekommt am Ende doch immer der Junior des Chefs. Frustriert über seine mangelnden Erfolge entwickelt der Vater die fixe Idee das Übergewicht seiner Frau sei hauptschuldig an all seinen fehlenden Erfolgen, nicht vorzeigbar sei Elas Mutter, nicht mal bei wichtigen Weihnachtsfeiern der Firma. Der Alltag der Eltern ist geprägt von Sticheleien, Vorwürfen und Vorhaltungen und auch Ela kann sich über die Jahre dem Blick des Vaters auf die Mutter nicht ganz entziehen.
Gleichzeitig ist Elas Mutter eine Kämpferin, die sich nicht unterkriegen lassen will und einerseits versucht ihr eigenes Leben zu leben, eine eigene Karriere zu haben und den Einschränkungen und Zwängen des konservativen und spießigen Dorflebens der 80er Jahre zu entkommen, aber andererseits versucht alle familiären Anforderungen die ihre Kinder, ihr Mann und ihre pflegebedürftigen Eltern an sie stellen zu erfüllen. Eine unlösbare Aufgabe.

Das Buch hat mich von Anfang an gefesselt. Die Familie wird komplett aus der Sicht der jungen Ela geschildert, ihr kindlicher Blick auf die Geschehnisse ist immer authentisch und wirkt nicht irgendwie aufgesetzt oder als hätte ein Erwachsener versucht wie ein Kind zu denken. Das Buch ist tragisch und traurig, aber trotzdem immer warm und teils sogar humorvoll und alle Charaktere sind irgendwie fair und verzeihend gezeichnet, so dass das Buch trotz aller Tragik immer eine wundervolle Leichtigkeit aufweist.

Das Buch ist also einerseits eine wirklich authentische Kindheitsgeschichte, gleichzeitig ein schonungsloser Blick auf die Hürden und Zwänge mit denen Frauen in den 80er Jahren zu kämpfen hatten, Themen wie Body Shaming, Diätkultur und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind auch heute noch aktuell wie eh und je und man kann sich anhand des Buches die Frage stellen, wie viel sich bis 2022 wirklich verändert hat.

Definitiv eines der Lese-Highlights von 2022 für mich!

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Buch-Tipp: „Meine Schwester“ von Bettina Flitner

„Meine Schwester“ von Bettina Flitner ist eine sehr bewegende Autobiografie, die für mich ein absolutes Lese-Highlight im Jahr 2022 darstellt. Bettina Flitner ist Fotografin und die Ehefrau (und davor jahrzehntelange Lebensgefährtin) von Alice Schwarzer. Im Mittelpunkt dieses Buches stehen jedoch die Erinnerungen an ihre Schwester und die gemeinsame Kindheit, denn Bettinas Schwester Susanne nahm sich im Jahr 2017 das Leben, wie Jahrzehnte davor schon ihre Mutter, die ihr Leben lang mit Depressionen kämpfte. Auch der Großvater der Mädchen war schon damit belastet. Eigentlich ein sehr trauriges Thema also, trotzdem erzählt diese Autobiografie mit viele Liebe, Humor und einem tollen Schreibstil von der Kindheit der beiden Mädchen, zwischen Waldorfschule, unkonventionellen Eltern, sehr unterschiedlichen aber von beiden Seiten der Familie charismatisch prägenden Großeltern, von einem halben Jahr in New York, Urlauben, ganz normalen Teenie-Sorgen und eben dem Leben mit der Depression der Mutter und später auch der Schwester. 

Dabei fühlt man sich der Familie immer ganz nah, trotzdem hat die Erzählung immer eine Leichtigkeit und Authentizität, die mir in noch nicht vielen Autografien so begegnet sind. Und abgesehen vom schweren Thema ist das Leben, der Hintergrund und die Geschichte dieser Familie auch einfach unheimlich interessant, egal ob es um kleine oder größere Themen geht.

Ich denke das Buch eignet sich eigentlich für fast jeden, für Menschen, die ebenfalls Familienmitglieder oder andere geliebte Menschen verloren haben, für Menschen die Depressionen besser verstehen wollen, aber auch einfach für jeden der gerne packende Autobiografien über familiäre Beziehungen liest. Von mir also eine klare Leseempfehlung!

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Buch-Tipp: „Triceratops“ von Stephan Roiss

Nachdem ich letztes Jahr gute Erfahrungen damit gemacht habe, habe ich mir auch dieses Jahr wieder vorgenommen mindestens ein Buch von der Nominierungsliste für den Deutschen Buchpreis zu lesen. Letztendlich habe ich mich sogar für zwei entschieden und „Triceratops“ von Stephan Roiss ist das Erste davon.

Das Buch erzählt von einer Kindheit in Österreich, erzählt aus der Perspektive eines kleinen Jungen, der in nicht ganz einfachen Verhältnissen aufwächst und in der ganze Geschichte aus nicht näher erklärten Gründen in der „Wir“ Form von sich spricht. Das ist am Anfang für einen kurzen Moment verwirrend, dann fühlt es sich völlig natürlich an. Der Vater ist die einzige mehr oder weniger stabile Komponente in der Familie, die Mutter hat mit psychischen Problemen zu kämpfen, muss immer mal wieder in die geschlossene Abteilung. Der Junge wird dann gern zur „Aschbach-Großmutter“ abgeschoben, die ziemlich ursprünglich mit einer kleinen Rest-Landwirtschaft lebt. Ist die Mutter zuhause lässt sie sich wenn es ihr schlecht geht dagegen oft von ihren kleinen Sohn umsorgen, eine Verdrehung der Rollen, die das Kind stark belastet. Die große Schwester hat einen Hang zum Auslöschen von Spielzeug und Haustieren, scheint aber später zunächst mal die Kurve zu kriegen. Als sie zu ihrem Freund zieht und den sogar recht früh heiratet, verliert auch der Junge den Kontakt zu seinen Eltern immer mehr und flüchtet zu Punker-Freunden oder schläft im Freien. Bis eine große Katastrophe passiert…

Die Hauptperson hat also mit allen möglichen Problemen zu kämpfen und zeichnet wohl auch deswegen seit der frühen Kindheit Monster aller Art, auch Dinosaurier haben es ihm angetan und vor allem die Dickhäutigkeit des Triceratops. Sich selbst so einen „dicken Panzer“ zuzulegen klappt aber mehr schlecht als recht und ob er sich aus physischen oder psychischen Gründen selbst so sehr kratzt bis seine Haut blutig ist, kann nach einigen Jahren auch keiner mehr sagen. Wir erleben diese komplizierte Kindheit von den jüngsten Jahren bis zum Teenageralter mit, die schwierige Familiensituation, Mobbing in der Schule, Rebellion und die Beschäftigung mit der Vergangenheit der Familie. auch wenn die Geschichte weder fröhlich noch schön ist, ist sie trotzdem mitreissend, ich habe das Buch innerhalb von zwei Abenden verschlungen. Der namenlose Junge wächst einem im Laufe des Buches ans Herz, auch wenn er als Teenager nicht unbedingt „liebenswert“ ist und die ganze Geschichte ist authentisch und berührend, tragisch und trotzdem nicht zu deprimierend.

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Buchtipp: „Kurt“ von Sarah Kuttner

Heute möchte ich ein Buch vorstellen, dass schon lange auf meiner persönlichen Wunsch-Leseliste steht, nämlich „Kurt“ von Sarah Kuttner.

Lena ist gerade mit ihrem Freund Kurt aus Berlin aufs Land in Brandenburg gezogen. Denn dort wohnt auch Kurs kleiner Sohn (der kleine Kurt) , für den er sich das Sorgerecht mit seiner Ex-Freundin Jana teilt. Während Jana und der große Kurt versuchen sich in einem Chaos aus Umzugskartons und unrenoviertem (aber günstigem) Haus ein Zuhause zu schaffen, hadert Lena außerdem noch mit ihren neuen Rolle als Teilzeit-Stiefmutter, denn bisher hatte sie den kleinen Kurt nur an einzelnen Tagen oder mal im Sommer längere Zeit. Jetzt wohnt er jede 2. Woche bei ihnen und sie ist sich unsicher inwieweit sie sich in die Erziehungen einmischen kann, versteht sich eher mäßig mit der humorlosen Jana und sucht nach ihrer Rolle in dem Dreiergespann.

Doch dann passiert das Unfassbare: der kleine Kurt stirbt durch einen Unfall in der Schule, völlig unerwartet, ohne, dass es einen Schuldigen gibt. Und statt einem Neuanfang finden sich Lena und Kurt in einem Albtraum und Lena sucht weiterhin nach ihrer Rolle, diesmal als Freundin eines trauernden Vaters, der sie gerade nicht mehr an seinem Leben teilhaben lassen kann Werden Lena und der große Kurt es schaffen sich wieder aneinander anzunähern?

„Kurt“ ist nach „Mängelexemplar“ schon das 2. Buch von Sarah Kuttner, das ich gelesen habe und beide Bücher haben mich zu 100% überzeugt. Das Thema von „Kurt“ ist natürlich sehr tragisch und traurig, trotzdem handelt es sich bei dem Roman nicht um ein trauriges Buch, eher sogar um ein sehr humorvolles und hoffnungsvolle. Auch wachsen einem die wenigen, aber sehr liebevoll gezeichneten Charaktere fast sofort ans Herz. Von mir eine definitive uneingeschränkte Leseempfehlung.

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Buchtipp: „Familiensilber“ von Sabine Friedrich

In „Familiensilber“ dreht sich auf den ersten Blick alles um die geplante Familienfeier zur Silbernen Hochzeit von Barbara und Gernot, einem Ehepaar das in der bayerischen Kleinstadt Neuenburg lebt. Der Roman spielt innerhalb von nur wenigen Tagen, er beginnt kurz vor der Familienfeier und endet am Tag danach. Barbara hat eine weitverzweigte Familie, die viele gemeinsame Erinnerungen verbindet, Gernot hingegen hat nur noch wenige Verwandte mit denen er zudem zerstritten ist. Ein Traumpaar sind Barbara und Gernot keineswegs, so dass deren Tochter Sarah schon im Vorfeld der Familienfeier an ihrer jahrelang kultivierten Rolle als „Diplomatin“ fast verzweifelt. Mehr oder wenig verzweifelt sind auch noch andere Mitglieder der Großfamilie und in den Kapiteln die zur Familienfeier hinleiten, lernen wir fast alle in episodenhaften Ausschnitten näher kennen.

So sind dort z.B. auch Marianne und Walter, zwei der wenigen Verwandten von Gernot, die auf Marbella in einer abgeschiedenen Luxus-Enklave leben und mehr oder wenig erfolgreich versuchen nichts von der (das schöne Leben doch empfindlich störenden) Flüchtlingskrise an den Küsten Afrikas und Spaniens mitzubekommen. Oder Marie, Barbaras Mutter, die immer noch versucht sich an ihre neue Rolle als Witwe zu gewöhnen. Eine Schwierigkeit des Buches ist sicher die Fülle an Charaktere, die beschrieben werden, da ist es nicht ganz einfach den Überblick zu behalten, wozu es aber am Ende des Buches einen ausführlichen Stammbaum gibt (den man auch gerne in Anspruch nimmt). Mir hat die sprunghafte Erzählweise aber wirklich gut gefallen.
Wer es gerne klar strukturiert, mit einem klaren Anfang und Ende mag, für den ist das Buch vielleicht nicht das Richtige, denn im Prinzip bietet es einen kurzen Einblick in eine weitverzweigte Großfamilie, deren Hoffnungen, Wünsche, Frustrationen, Alltagsprobleme und die Verarbeitung der Vergangenheit als Deutsche Kriegsflüchtlinge. Der Schreibstil ist oft ironisch, zynisch und auch etwas böse, was vielleicht auch nicht jedem liegt, mir aber ganz hervorragend gefallen hat.

Wenn man das Buch liest merkt man auch, dass sich die Gesellschaft und die beherrschenden Themen seit 2005 augenscheinlich null weiterentwickelt haben (was etwas deprimierend ist), denn die beherrschenden gesellschaftspolitischen Themen des Buches sind die Flüchtlingskrise, Migration an sich, Lobbyismus, Globalisierungsfragen und Co…wäre mir nicht beim Blättern aufgefallen, dass da als Erscheinungsdatum 2005 steht, hätte ich das Buch als aktuellen Kommentar zur Lage der Nation verstanden. Ergo für mich ein hochaktuelles Buch, das heute genauso lesenswert ist wie vor 13 Jahren.